Heinemann, Michael

Der Komponist für Komponisten. Bach-Rezeptionen

vom 18. bis zum 20. Jahrhundert

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Dohr, Köln 2010
erschienen in: das Orchester 09/2010 , Seite 58

Es dürfte schwer sein, innerhalb des untersuchten Zeitraums auch nur einen Komponisten zu finden, der sich nicht in irgendeiner Weise mit Bach beschäftigt hätte. So erscheint es zunächst einmal als ein höchst verdienstvolles Unterfangen, diese Wirkungsgeschichte nach Art eines Kompendiums oder in Gestalt einer umfangreicheren Monografie vergleichend sichtbar zu machen.
Wer Heinemanns Buch in der Erwartung aufschlägt, etwa auf eine komprimierte Version seines vierbändigen Werks Bach und die Nachwelt zu treffen, sieht sich rasch enttäuscht: In 20 Kapiteln werden einige von Bachs späteren Komponistenkollegen auf ihre Rezeptionshaltung gegenüber dem „Übervater“ hin analysiert, wobei jedoch die Auswahl recht willkürlich erscheint. In der Tat räumt der Verfasser denn auch in seinem Vorwort ein, lediglich „Aspekte“ versammeln zu wollen, gewonnen in bzw. aus Versionen, die „schon andernorts publiziert“ worden seien. Man wird den Verdacht nicht ganz los, dass diese Texte, die zur Hälfte gar noch recht randständige Komponisten fokussieren, nur zu dem einen Zweck zwischen zwei Buchdeckel gegeben wurden, um des Verfassers Publikationsliste um eine weitere Monografie zu erweitern.
Von den bedeutenderen Komponisten sind lediglich Haydn, Chopin, Berlioz, Verdi, Reger, Richard Strauss, Schostakowitsch und Messiaen vertreten, zwischen den Zeilen auch Liszt. Nur um bei einigen (resigniert?)
die wenig ergiebige Feststellung zu treffen, dass Bach sie so gut wie gar nicht beeinflusst habe (Strauss, Berlioz). Dann aber: Hiller, Alkan, Kirchner, Joseph Joachim, Draeseke, Middelschulte – Komponisten, an denen eine Bach-Rezeption zu exemplifizieren von doch recht begrenzter Fruchtbarkeit ist, solange etwa Beethoven, Mozart, Brahms, ja, selbst die komplette Moderne mit ihrem ganz spezifischen Zugang zu Bach (Berio, Kagel, Schnittke, auch Piazzolla) ausgespart bleiben. Nach solch unklaren Auswahlkriterien lassen sich, überspitzt formuliert, auch Eduard Künneke und Ralph Maria Siegel ohne besonderen Nutzen auf eine (vermutlich auch nicht vorhandene) Bach-Rezeption abklopfen.
Die meisten der hier versammelten Artikel würde man zweifellos mit einigem Gewinn lesen (allen voran die Gedanken über Bachs „Repotenzialisierung“ im 19. Jahrhundert oder die Beiträge zu Verdi, Reger und Messiaen), litte Heinemann nicht unter offenkundigen Problemen mit seiner Muttersprache – gemäß dem törichten und auch in der Wissenschaft längst überholt geglaubten Grundsatz: „Warum sich verständlich ausdrücken, wenn es auch gelehrt geht?“
Nur gut, dass es im Wesen der Musik liegt, für sich selbst zu sprechen: Die von Heinemann glücklicherweise zahlreich angeführten Notenbeispiele zeichnen sich durch jene Verständlichkeit und Illustrationskraft aus, die die verschwiemelten Formulierungen des Autors leider vermissen lassen.
Friedemann Kluge