Schleske, Martin
Der Klang
Vom unerhörten Sinn des Lebens
“Einer der großen Geigenbauer der Gegenwart erzählt von den Geheimnissen seines Berufes” so beginnt der Klappentext. Das inhaltliche Spektrum eines Buchs, in dem der Grundriss der Basilika Vierzehnheiligen eine Rolle spielt, ist damit erst angedeutet. Die Umbruchstellen der symmetrischen Architektur Balthasar Neumanns finden sich auch in der äußeren Form der Geige. Im asymmetrischen Resonanzraum bewirken sich überschneidende Spannungsfelder das Klanggeheimnis.
Bei Martin Schleske nimmt es seinen Anfang mit der Suche nach Sängerstämmen im tiefen Schnee des alpinen Windbruchs. Alles Weitere, vom Erkennen des durch Markstrahlen gebildeten Spiegels im Holz über das Gefühl für den Faserverlauf beim Ausarbeiten der Wölbung bis zum Lackieren und schließlich dem Einstellen auf die Erwartungen des Kunden, ist für ihn Teil des Geheimnisses, aber auch Gleichnis der Persönlichkeitsentwicklung: Was dem Klang meiner Geigen das Holz ist, das ist meinem Leben der suchende und hörende Glaube.
Ihm dabei zu folgen, erfordert erst einmal Verständnis. Es wird zum Gewinn durch die Offenheit, mit der Schleske über das eigene Versagen und die menschliche Größe anderer berichtet. Sein Anknüpfen an Worte aus Bibel und Thora, aus Platon und Laotse zeugt von umfassender Kenntnis. Er will seine Leser nicht vereinnahmen, es gibt keinen Bruch zwischen dem Reden vom Geigenbau und vom unerhörten Sinn des Lebens. Wer im Kapitel vom Verschlossenen Klang, der einem Solocellisten die Freude an seinem Instrument genommen hat, nach der Bestandsaufnahme auf den Heilungserfolg gespannt ist und weiterblättert, wird durch das Geständnis des Autors beruhigt, die zwischengeschaltete Betrachtung sei
das mit Abstand längste Gleichnis in diesem Buch.
Im Vorwort stellt er dem Leser frei, mit demjenigen Kapitel zu beginnen, das ihn am meisten interessiert. Vielleicht das elfte: Das Geheimnis des Geigenlacks mit der ausführlichen Beschreibung der harten und weichen Harze, der Öle und Pigmente. Das zwölfte berichtet vom Lohn nach dem Auftragen der gut fünfzehn Schichten: Das Auspolieren des Lacks, bis dieser sein inneres Feuer erhält, sei einer der schönsten Arbeitsgänge, eine Zeit der Erfüllung. Allein die Vorbereitung des leinenen Polierlappens dauert einige Minuten. In der Hand des Spielers, durch sein Vibrato und sein Verwandeln der Resonanzen in Klangfarben, entsteht dann ein akustisches Feuer, das die Persönlichkeit des Instruments mit derjenigen des Musikers verschmilzt.
Mit den fließenden Lichttönen, dem Spiel der Schärfen und Unschärfen in ihren ganzseitig wiedergegebenen Schwarzweißbildern vom Werden der Geige verleiht die Fotografin Donata Wenders dem liebevoll gestalteten Buch eine einzigartige Atmosphäre.
Reinhard Seiffert