Wagner, Siegfried

Der Heidenkönig

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Marco Polo 8.225301-03
erschienen in: das Orchester 04/2006 , Seite 90

Nun ist auch Der Heidenkönig auf CD zu haben, die neunte der insgesamt 15 Opern von Siegfried Wagner (1869-1930), dem Enkel von Franz Liszt, Sohn von Richard Wagner und Schüler von Engelbert Humperdinck. Eine gemeinsame Anstrengung machte es möglich, nicht zuletzt jene der Sender WDR 3 und Deutschlandradio Berlin, welche die Aufnahme besorgten, im Anschluss an Aufführungen in Solingen.
Es geht – wie immer bei diesem Komponisten auf ein eigenes Libretto – diesmal vordergründig um den spätmittelalterlichen Konflikt zwischen christlichen Polen und – hier etwas missverständlich als „Wenden“ bezeichneten – heidnischen Pruzzen beziehungsweise Litauern, tatsächlich aber um den Gegensatz zwischen einer Religion der Liebe, des Friedens und der Vergebung sowie einer solchen, die nur dem Willen zur Macht dient, niedere Beweggründe wie Rache und Eifersucht bemäntelt, letztlich menschenverachtend. Ausgetragen wird dieser Konflikt auf der tiefgründigen Ebene des Gewissens der Personen.
Wie Gunther Fleischer im aufschlussreichen Beiheft-Text darlegt, kristallisiert sich das Drama in dem mit „Glaube. Andante religioso“ überschriebenen Orchester-Zwischenspiel als „nachgeholte Ouvertüre“ zwischen dem Prolog und dem ersten der drei Akte. Das chromatische Gegenmotiv zum diatonischen „Glaubens“-Thema zeigt dort den „wahren, guten“ Glauben als nicht ungefährdet, immer wieder neu zu erringen. Schlüsselfigur im Heidenkönig ist ein namenloser Mönch, der die Heiden nicht für die Kirche, sondern individuell für Jesus Christus gewinnen will. Und selbst der christliche Truppenführer Jaroslaw steht auf der dunklen Seite der Macht.
Komponiert 1913/14 wurde Der Heidenkönig erst 20 Jahre später posthum uraufgeführt. Das CD-Cover zeigt ein Szenenfoto dieser Kölner Inszenierung. Der im Grunde konservative Komponist befand sich in diesem Werk durchaus auf der Höhe seiner Zeit, so in manchen Blechbläserballungen. Die Musik ist sinfonisch durchgearbeitet, mit treffsicherer Tiefenschärfe geschrieben. Die todernste Handlung durchsetzt Siegfried Wagner mit einem teils heiteren, teils sarkastischen Humor, etwa wenn die Heiden ihre Rituale im Prolog mit einem Tableau im Stil des von Vater Wagner gehassten (aber schon fleißig ausgeschlachteten) Meyerbeer feiern oder wenn der polnische General Jaroslaw zu den Klängen einer Polonaise auftritt.
Angesichts der zahlreichen Gesangspartien besticht deren insgesamt gute Besetzung. Einige Sänger haben Siegfried-Wagner-Erfahrung, so ist es für den Bass-Bariton André Wenhold als Krodo schon die sechste Rolle. Baritonal vorbildlich: Adam Kruz?el als Jaroslaw. Genannt werden muss mindestens noch Mechthild Georg (Alt) als Waidelottin (Priesterin) Wera im „Geheimen Bund“. Schön auch, dass gerade der Polnische Kammerchor an der Produktion mitwirkt.
Dirigent Hiroshi Kodama beweist wieder einmal seine enorme Begabung, kaum bekannte Opern charakterisierend zur Kenntlichkeit zu bringen. Die weiten Bögen dieser Musik können sich entspannt entfalten, ständig erneuert sich ihr doppelbödiger Reiz. Allein für filigrane Stellen fehlt es etwas an Präzision. Dabei geben die Bergischen Symphoniker durchweg ihr Bestes, stehen in Intonation, durchsichtiger Klangschönheit und sprachnaher Ausdruckskraft auch weit bekannteren Orchestern kaum nach.
Ingo Hoddick