Pegelhoff, Ralf

“Der gute Ton”

Netzwerk für Kommunikation und Konfliktberatung in Orchestern und Theaterbetrieben

Rubrik: Aufsatz
erschienen in: das Orchester 09/2010 , Seite 16
Das Bewusstsein für die Notwendigkeit von Verbesserungen im Bereich Kommunikation für Orchester- und Theaterbetriebe hat in den vergangenen Jahren erheblich zugenommen. Bestehende Strukturen werden stärker hinterfragt, an mehreren Standorten werden Maßnahmen in den Bereichen Mediation und Coaching durchgeführt. Die Deutsche Orchestervereinigung und der Deutsche Bühnenverein haben sich darauf verständigt, entsprechende Schulungsmaßnahmen zu unterstützen wie z. B. die Tagung "Von der Klangkultur zur Gesprächskultur" in der Bundesakademie für kulturelle Bildung in Wolfenbüttel sowie weitere Folgeveranstaltungen. Trotzdem stehen viele Orchestermitglieder, Intendanten und Geschäftsführer diesen Themen skeptisch bis ablehnend gegenüber. An dieser Stelle setzt das Netzwerk "Der gute Ton" an.

„Wie man in den Wald hinein ruft, so schallt es heraus“, sagt ein altes deutsches Sprichwort und beschreibt damit einen wesentlichen Aspekt von Kommunikation, nämlich, dass die Art und Weise, wie man eine Information, ein Anliegen oder eine Kritik formuliert, ganz wesentlichen Einfluss darauf hat, ob diese Botschaft verstanden und angenommen oder ob sie eben nicht verstanden oder sogar bekämpft wird. Dies ist eigentlich eine Binsenweisheit. Dass transparente und wertschätzende Kommunikation darüber hinaus günstig auf das gesamte kollegiale Klima wirken kann, Konflikte verringern hilft und insgesamt zu verbesserter Qualität führt, scheint für viele Mitarbeiter in Orchestern und Theatern noch nicht genügend bewiesen zu sein, obwohl es auch dort an Konflikten und misslingender Kommunikation sicher keinen Mangel gibt.
Die wachsende Komplexität betrieblicher und gesellschaftlicher Strukturen, neue Entwicklungen und der zunehmende allgemeine Leistungs- und Produktivitätsdruck führen in eine Situation, in der viele Regeln des Miteinanders neu diskutiert werden müssen. Dies gilt für den Umgang von Orchestermitgliedern innerhalb einzelner Instrumentengruppen ebenso wie für die Kommunikation des Managements zu den Musikern und umgekehrt. Unklare Regelungen wie z. B. fehlende Stellenbeschreibungen für Stimmführer oder Solobläser, unausgesprochene Konflikte zwischen den Generationen, Mangel an Teambewusstsein und Teamentwicklung und viele andere ungelöste Probleme führen zu Gefühlen der Hilflosigkeit und Ohnmacht, die den Rückzug ins Private als einzigen Ausweg erscheinen lassen. Das Netzwerk „Der gute Ton“ möchte mit seiner Beratung und seinen Angeboten dem etwas entgegensetzen.
Die Mitglieder des Netzwerks – Herlinde Kerschhackel (Philharmoniker Hamburg), Gottlob Schmücker (Philharmonisches Orchester der Stadt Augsburg) und ich selbst (Niedersächsisches Staatsorchester Hannover) – sind selbst Profimusiker und seit vielen Jahren mit den möglichen internen Problemen und diversen Konfliktformen in Orchestern und Theaterbetrieben vertraut. Im Rahmen ihrer Tätigkeit als Orchestervorstände, Betriebs- oder Personalräte ist ihnen gemeinsam, dass sie bereits vor einigen Jahren zu der Überzeugung gelangt sind, dass bestehende Strukturen nicht ausreichen, um gravierende Probleme und lang anhaltende Kommunikationsstörungen zu beheben. Aus diesem Bewusstsein heraus haben sie sich entschieden, den Blick „über den Tellerrand“ zu wagen und sich fortzubilden. Themen ihrer Fortbildungen waren Mediation und Mobbingberatung, aber auch systemische Ansätze zu innerbetrieblicher Kommunikation, Grundlagen der Kommunikation, Teamentwicklung, Coaching, Personal- und Organisationsentwicklung etc.
Es ist das zentrale Anliegen des Netzwerks, diese Themen und Inhalte auf verschiedenste Art und Weise den Orchestern und Theatern zugänglich zu machen, sei es durch Workshops und Seminare, durch Vorträge, durch konkrete Beratungs- oder Mediatorentätigkeit, aber auch z.B. durch Hinweise auf wichtige Veröffentlichungen und Informationen zu Fortbildungsangeboten. Das Wissen soll angewendet und zugleich weiterentwickelt werden. Das Netzwerk bietet darüber hinaus die Möglichkeit, entsprechende Informationen und Erfahrungen auszutauschen und zu bündeln, verschiedene Ansätze und Meinungen zu präsentieren und aus den verschiedensten Blickwinkeln Lösungsansätze zu entwickeln. Es ergeben sich auf diese Weise Synergieeffekte, die weit über die Möglichkeiten eines einzeln agierenden Beraters hinaus gehen.

Der Netzwerkgedanke
Netzwerke stellen Verbindungen her, sie bieten Informationen, Möglichkeiten des Austauschs, der gegenseitigen Unterstützung, nutzen die verschiedenen Ressourcen der Beteiligten, bieten Dienste an. Gemeinsame Projekte der Mitglieder sind ebenso ein Ziel wie kollegiale Supervision (gegenseitige Hilfestellungen der Berater untereinander). Die langjährige Orchestererfahrung der Mitglieder bildet das Rückgrat des Netzwerks. Sie hilft, sowohl eigene Berührungsängste als auch die von Interessierten zu vermeiden. Die intime Kenntnis der Netzwerkmitglieder vom Orchesteralltag ist eine wichtige Voraussetzung für die Aufarbeitung von Konflikten in diesem besonderen Berufsbereich. Das Netzwerk ist dafür offen, sich in den nächsten Jahren personell zu erweitern. Das grundsätzliche Anliegen des Netzwerks, die Initiierung, Begleitung und/oder Durchführung kreativer und konstruktiver Maßnahmen zur Verbesserung von Kommunikationsstrukturen, schließt die Möglichkeit ein, Mitglieder aufzunehmen, die nicht den „Stallgeruch“ des Orchesters haben. Im Einzelfall kann dies sogar von Vorteil und eine wichtige inhaltliche Ergänzung sein. Keinesfalls jedoch soll das Netzwerk lediglich als Werbeplattform für die Angebote einzelner Berater oder gar bestehender Firmen benutzt werden.

Zwischen den Fronten
Unser Netzwerk ist keiner Organisation verpflichtet und arbeitet unabhängig, auch von der Deutschen Orchestervereinigung und dem Deutschen Bühnenverein. Dies schließt Kontakte zu beiden Parteien aber keineswegs aus. Im Gegenteil – der ungebundene Blickwinkel mit den sich aus den Erfahrungen bei der Beratungs­­tätigkeit ergebenden anonymisierten Ergebnissen könnte neue Impulse auch für zukünftige Regelungen initiieren und so zum Wohl aller Orchestermitglieder an Lösungen mitwirken, wenn es denn von den Tarifparteien gewünscht wird. Es gibt eine Reihe von Konflikten, die im Berufsalltag eine erhebliche Rolle spielen und die ohne die Tarifparteien nicht zu lösen sind. Als Beispiel wäre hier etwa das Thema „Stellenbeschreibung für Stimmführer“ anzuführen. Welche konkreten Aufgaben hat ein Stimmführer? Über welche Führungsfähigkeiten muss er neben künstlerischen Qualitäts­ansprüchen verfügen? Inwieweit kann er die Meinung der Gruppe gegenüber anderen, auch gegenüber dem Dirigenten, vertreten? Muss er bereits vor der ersten Probe in Absprache mit den anderen Stimmführern Striche festlegen und eintragen? Muss ein Gruppenmitglied den Anweisungen des Stimmführers unbedingt Folge leisten? Welche Rechte und Pflichten hat ein stellvertretender Stimmführer? Welche Rechte und Pflichten hat ein „einfaches“ Gruppenmitglied? Entspricht die Funktion des Stimmführers der eines Abteilungsleiters und kann ein Stimmführer insofern vom Dirigenten als „sein“ Abteilungsleiter in Anspruch genommen werden? Der Fragenkatalog ließe sich fortsetzen.
Aus der Unklarheit dieser Führungsposition ergeben sich zum Teil massive Beeinträchtigungen des kollegialen Miteinanders. Auch Instrumentengruppen, die regelmäßig zusammenkommen und viel Zeit in ein gutes Arbeitsklima investieren, kommen an dieser Stelle ohne Unterstützung oft nicht weiter. Dies war auch ein wichtiges Thema auf der zu Beginn erwähnten Tagung in Wolfenbüttel. Ein Positionspapier, welches die Unterschrift beider Tarifpartner trägt, wäre an dieser Stelle sicher hilfreich und wünschenswert. Dieses könnte die Basis für weitere Diskussionen in den Orchestern bilden, um dann zu klaren Regelungen zu führen. Erfahrungen aus dem Netzwerk könnten hier sicher ergänzende Einblicke und Informationen liefern, vielleicht sogar Vorschläge machen, die eben deshalb, weil sie nicht dem Tarifpoker unterliegen, mehrheitsfähig sind.

Organisationsstruktur und Finanzierbarkeit
Das Netzwerk ist im Entstehen. Die aktuellen Mitglieder sind gegenwärtig noch Vollzeit als Orchestermusiker oder freigestellte Personalräte tätig, lediglich ich selbst gehe ab der Saison 2010/11 zunächst für zwei Jahre auf eine halbe Stelle. Es wird notwendig sein, Inhalte und Ideen zu bündeln, gemeinsame Projekte zu entwickeln, Beratung und Mediation durchzuführen, dabei gleichzeitig die eigene Weiterbildung nicht zu vernachlässigen und gegenseitige Unterstützung anzubieten. Auch die Betreuung der Website und die Beantwortung der eingehenden Anfragen wird ein Schwerpunkt sein. All dies kostet Zeit und Geld. Wir hoffen, dass sich die Arbeit für das Netzwerk zumindest zum Teil durch die Honorare für Vorträge und Beratungstätigkeiten deckt, auch wenn ein hoher ideeller Anteil in diesem Projekt steckt. Telefonische Beratung sowie intensiver Austausch über E-Mail werden ab einer bestimmten Größenordnung nicht kostenfrei angeboten werden können, hierum bitten wir um Verständnis. Der Nutzen und die Erkenntnisse, die sich langfristig aus der Arbeit des Netzwerks ergeben, werden sich sicher für viele Musiker lohnen.

Verbessertes Miteinander als Ziel
Immer wieder kommt die Frage auf, inwieweit Maßnahmen zur Verbesserung von Kommunikation, z.B. eine Mediation, „wirklich“ helfen. Es hilft zum einen natürlich nur dann, wenn alle Beteiligten bereit sind, diese Chance zu nutzen und persönliche Haltungen und Blickwinkel zu überprüfen. Zum anderen muss ein Berater oder Mediator über genügend Methoden und Erfahrung verfügen, um auch schwierige Situationen zu meistern. Es wird Mediationen geben, die aus unterschiedlichen Gründen scheitern. Deswegen ist die Idee der Mediation aber noch lange nicht grundsätzlich falsch. Dasselbe gilt für andere Maßnahmen wie Teamentwicklung, Coaching, Training in Feedback etc.
Unser Netzwerk möchte mit dazu beitragen, dass Sorgen und Befürchtungen hinsichtlich neuer Formen des Miteinanders abgebaut werden. Ängste sind häufig nachvollziehbar und berechtigt, dürfen aber nicht zu einer grundsätzlichen Blockade neuer Ideen führen, weil dadurch jede positive Entwicklung bereits im Keim erstickt wird. Dies gilt auch für die Art und Weise, wie innerhalb des gesamten Betriebs – also zwischen den Abteilungen oder auch zwischen Management und Mitarbeitern – mit den Themen „transparente Informationspolitik und wertschätzende Kommunikation“ umgegangen wird. Auch an dieser Stelle gibt es möglicherweise Ängste und Blockadehaltungen. Wir glauben, dass ein solches Denken und Verhalten zu kurz greift. Die Verbesserung von Kommunikationsstrukturen und mehr Verständnis füreinander, gerade auch im betrieblichen Kontext, könnte die Identifizierung mit der eigenen Institution verbessern, zu mehr Selbstbewusstsein führen und langfristig die Qualität und Ausstrahlung eines Klangkörpers erheblich verbessern. Davon sind wir zutiefst überzeugt.
Unser Netzwerk will mit neuen Angeboten und Impulsen einen konstruktiven Beitrag für die Entwicklung einzelner Orchester, möglicherweise auch für die gesamte deutsche Orchesterlandschaft leisten. Ein „guter Ton“ wird dabei das Markenzeichen für die Integration von Kreativität und Spielfreude. Wir hoffen, dass unsere Angebote trotz Finanzkrise auf Interesse stoßen. Krisenzeiten bieten immer auch die Chance zu innerer Erneuerung, um neue Antworten für die Zukunft zu finden. Lassen Sie uns miteinander ins Gespräch kommen!