Schulze, Tristan

Der gestiefelte Kater

Ein musikalisches Märchen für Kinder für Erzähler und Streichquartett op. 94 nach den Gebrüdern Grimm und Ludwig Tieck, Textfassung von Chris Pichler, Partitur und Stimmen

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Schott, Mainz 2013
erschienen in: das Orchester 02/2014 , Seite 73

Mit seiner 2010 uraufgeführten Komposition Der gestiefelte Kater transportiert Tristan Schulze (*1964) das bekannte Märchen in den Konzertsaal. Schulze, der in den vergangenen Jahren mit Werken wie der Kinderoper Dornröschen (2005) einige Erfolge verzeichnen konnte, kombiniert in seiner 50-minütigen Komposition die freien und gebundenen deklamatorischen Möglichkeiten einer Sprechstimme mit dem Klang eines Streichquartetts. Die Konzeption sieht vor, dass die Streicher den gleichzeitig erklingenden oder zwischen den insgesamt 19 Nummern vorzutragenden Text untermalen und kommentieren oder auch das erzählte Geschehen in ausgedehnteren instrumentalen Passagen nachhallen lassen. Dabei bedient sich der Komponist, ausgehend von der Textfassung Chris Pichlers, eines ganzen Arsenals eingängiger, mitunter auch sehr simpler Mittel der musikalischen Gestaltung.
Schulze hat seinem Werk im Wesentlichen drei leitmotivisch benutzte Themen zugrunde gelegt, die – wie er im kurzen Partiturvorwort betont – „allesamt eine klassisch-harmonische Sprache“ sprechen: jene des Katers und des Helden Gottlieb, beide erstmals in der ausschließlich den Musikern vorbehaltenen Ouvertüre vorgestellt, sowie jenes des Königs, das, gemäß der Pichler’schen Textfassung, den Herrscher zu einer komischen Figur werden lässt, weil er immer wieder vor lauter Rührung ins Weinen gerät und sich die Musik dementsprechend vom anfangs majestätischen Duktus zu einem weinerlichen Schluchzen wandelt. Details wie dieses, aber auch Einsprengsel wie die Nachahmung des Gesangs einer Nachtigall durch die erste Violine (in Nr. VII), die von allen vier Musikern gleichzeitig zu spielenden und zu sprechenden Passagen (in Nr. XIV) oder die Erzeugung humoristischer Momente durch Spielanweisungen wie „sehr schleppend und unmusikalisch, wie ein schlechter Sänger“ (in Nr. XIII) zeugen ebenso wie die ausgedehnteren Quartettpassagen von Schulzes pointiertem Einsatz musikalischer Charakerisierungen. Dies kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass Der gestiefelte Kater im Grunde recht altmodisch daherkommt und jenen Werken zugerechnet werden muss, die es partout vermeiden wollen, Kinder mit den Möglichkeiten modernerer musikalischer Ausdrucksmittel vertraut zu machen.
Die Praxistauglichkeit der vorliegenden, aus einer Partitur und Einzelstimmen bestehenden Edition ergibt sich aus dem Zusammenwirken von großzügigem Notenbild und ideal platzierten Blätterpausen. Eine Realisierung des Werks setzt allerdings aufgrund der nicht geringen Anforderungen an ein präzises Zusammenspiel sowohl ein versiertes Quartettensemble wie auch einen professionellen Erzähler voraus. Dennoch lässt sich das Stück mit etwas Fantasie auch über eine bloß konzertante Wiedergabe
hinaus um theatralische Aspekte erweitern: Besinnt man sich nämlich auf die Möglichkeit, Text und Musik durch szenische Aktionen oder Bilder anzureichern, kann man Schulzes Komposition durchaus als Grundlage für ein Kindertheater nutzen.
Stefan Drees