Jochem Wolff
Der Funke des Prometheus
Beethoven – Legenden und Spuren
In seinem zweiten Buch über Musik wendet sich der Musikwissenschaftler und Publizist Jochem Wolff Ludwig van Beethoven zu. Nicht in einer weiteren Biografie, auch nicht in einem durchgehenden Narrativ – vielmehr haben wir hier sieben Essays unterschiedlicher Länge, die sich dezidiert mit einzelnen Aspekten des Beethovenbildes einst und heute auseinandersetzen.
In biografischer Hinsicht bieten nicht alle Essays Neues, auch nicht mit Blick auf Beethovens weites Interessenspektrum. Wolffs Schwerpunkte liegen anderswo. Etwa, wenn er den Blick auf Beethovens Taubheit lenkt, die laut Wolff gar keine vollständige Taubheit war; vielmehr sei bei Beethoven ein Resthörvermögen vorhanden geblieben. Er argumentiert weniger anhand historischer Belege, sondern vielmehr in Folge enger Diskussionen mit einem Psychotherapeuten und einem Internisten, welche Traumata in frühen Jahren und Belastungen der Persönlichkeit Beethovens als Ursachen für Hörschäden (vermutlich verursacht durch eine Reihe von Hörstürzen) vermuten. Der Zweck der Konversationshefte wird umgedeutet und Beethovens Nutzung der Hörrohre bis in seine späten Jahre als überzeugendes Argument gegen eine vollständige Ertaubung angeführt.
Assoziativ mehr denn hinreichend im Vorfeld erkundet ist der Blick auf Beethovens späte Streichquartette – und gerade hierdurch perpetuiert Wolff teilweise Legenden und Mythen, statt sie tatsächlich zu korrigieren. Weit erhellender ist Wolffs unkonventioneller Blick auf den Homo politicus Beethoven. Gerade der bewusste Blick „aus der Ferne“ auf den Komponisten und seine Zeit zeigt ihn in klarerem Licht – nicht unbedingt als einen „Barrikaden-Revolutionär“, aber einen „Rebell des Geistes“ im Zeichen der Ideale von 1789.
Besonders spannungsvoll und gerade im unkonventionellen Zugriff faszinierend ist Wolffs Blick auf die Beethoven-Rezeption der vergangenen 150 Jahre – dies scheint eine fast größere Stärke als die in den Werbeunterlagen des Verlags besonders hervorgehobenen intendierten „gründliche[n] Korrekturen des in der Musiköffentlichkeit und in den Medien gängigen Beethoven-Bildes“ – eines Bildes, das die Kenner längst korrigiert haben und das von einer oberflächlichen Medienwelt auch durch Wolffs Buch nicht korrigiert werden wird.
Leider ist die wissenschaftliche Basis, die Wolff heranzieht, gelegentlich fehlerhaft (falsche Autorennamen etc.) oder wenig sorgsam (viele Legenden, die er beleuchtet, sind längst korrigiert dargestellt). Manche Belege erwähnt er in Anmerkungen derart verkürzt, dass sie ihre Überzeugungskraft verlieren und häufig zitiert er nach zweiter oder gar dritter Hand; gerade wenn man Legenden berichtigen oder widerlegen will, braucht es mehr Sorgfalt, mehr Skrupulösität im Detail. Manche Abkürzungen innerhalb des Buchs bleiben unaufgelöst und mehrere Originalbeiträge – einerseits solche, die für Wolffs Argumentation essenziell sind, andererseits Blicke auf Beethovens Bedeutung für heute und morgen – sind nicht datiert, was ihre seriöse Belastbarkeit beeinträchtigt.
Jürgen Schaarwächter