Weber, Carl Maria von
Der Freischütz
Während der CD-Markt im Klassikbereich noch immer vor sich hin dümpelt, sieht es im DVD-Bereich weitaus positiver aus. Das Angebot an neuen und nicht ganz so neuen Opernaufnahmen auf DVD unterstreicht, wie sehr dieses Medium von den Käufern angenommen wird. Dass diese Nachfrage aber auch einige Produktionen auf den Markt spült, deren technische Qualität und Ausstattung ihren Wert eher fragwürdig machen, ist die Kehrseite der Medaille.
Die 1981 in der Württembergischen Staatsoper Stuttgart mitgeschnittene Produktion von Carl Maria von Webers Der Freischütz bietet zwar die Wiederbegegnung mit einigen ansprechenden Sängerleistungen hier sei besonders die lebendig-dramatisch akzentuierte Agathe von Caterina Ligendza zu nennen. Auch ist Achim Freyers Regiekonzept noch heute von Interesse. Die mit Mängel behaftete Bild- und Tonaufzeichnung, aber auch die lieblose Aufmachung der DVD-Produktion lassen am Sinn des Unternehmens doch Zweifel aufkommen. So ist die Kameraführung aus heutiger Sicht wenig überzeugend. Es handelt sich offensichtlich um eine Fernsehaufzeichnung; genauere Daten sowie der Tag des Mitschnitts fehlen. Problematischer aber ist die verwaschene, teilweise etwas unscharfe Bildqualität. Ebenso ist die Tonaufzeichnung höchstens durchschnittlich, die Stimmen wirken oft übersteuert, der Filtereinsatz kann hier nicht alles ausgleichen.
Achim Freyer, der auch als sein eigener Ausstatter zu Gange ist, hat einen auf die Handlung durchaus entlarvenden Blick geworfen. Von Tümelei jeglicher Art kann bei diesem Freischütz keine Rede sein. Freyer versagt sich aber auch ein Psychologisieren der Handlung, vieles bleibt märchenhaft. Er nutzt Bühnenmittel aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts für eine Sicht auf Webers Hauptwerk, die nie in der historischen Rekonstruktion stecken bleiben. Denn dieser Freischütz liefert dank greller Überzeichnung die Parodie seiner selbst gleich mit. Die gemalten Prospekte und der märchenhafte Spuk der Wolfsschlucht wirken auf den ersten Blick naiv, bewirken aber für den modernen Betrachter zugleich eine Distanzierung, die auch die problematischen Aspekte der Oper öffnet: das Gefangensein der handelnden Personen in einem System, das wie im Falle von Max Verstöße gegen die Ordnung geradezu erzwingt. Freyer spielt mit unterschiedlichen Blickwinkeln auf die Oper, bringt das Dumpfe der Volksszenen des ersten Akts ebenso hervor wie die unfreiwillige Komik vieler Momente des Librettos von Johann Friedrich Kind. Als Dokument ist diese Regie Freyers auf jeden Fall interessant.
Musikalisch bewegt sich der Live-Mitschnitt im gediegenen Mittelfeld. Stuttgarts damaliger Generalmusikdirektor Dennis Russel Davies und das durch seine Geschlossenheit und hohen technischen Stand überzeugende Orchester der Württembergischen Staatsoper Stuttgart der auch darstellerisch geforderte Chor des Hauses bewegt sich auf ähnlich beachtenswertem Niveau können nach etwas zögerlichem Beginn (die Ouvertüre bleibt Stückwerk) im Laufe des Abends eine beachtenswerte dramatische Sogwirkung entwickeln. Caterina Ligendza gibt der Agathe dank ihres sicher geführten jugendlich-dramatischen Soprans, der mit einer beachtenswert leichten Höhe aufwarten kann, deutliche Konturen. Toni Krämer singt den Max zwar etwas eindimensional, dabei aber packend und die heldische Seite seines Tenors ins beste Licht setzend. Fritz Linkes Kuno bleibt etwas blass. Zwischen Dämonie und Komik schwankt Wolfgang Probst als Kaspar. Wolfgang Raub gestaltet den Samiel mit Nachdruck. Roland Brachts Eremit kann auch dank seiner Persönlichkeit überzeugen. Wolfgang Schönes Ottokar bleibt, auch regiebedingt, etwas statisch. Aus dem weiteren Ensemble ragt die temperamentvolle Raili Viljakainen (Ännchen) heraus. Trotz dieser nicht nur musikalischen Pluspunkte ist die DVD-Veröffentlichung nicht auf dem technischen und Ausstattungsniveau, das man inzwischen bei der großen Konkurrenz von DVDs auf dem Markt erwarten dürfte.
Walter Schneckenburger