Wagner, Richard
Der fliegende Holländer
2 CDs
Ein mutiges Vorhaben, sich heutzutage an einen kompletten Wagner-Zyklus mit den zehn großen Opern heranzuwagen. Und vielleicht braucht es dafür einen Mann wie Marek Janowski, Chef des Rundfunk-Sinfonie-
orchesters Berlin und Anfang der 1980er Jahre Dirigent einer fabelhaften Ring-Aufnahme. Bis zu Wagners 200. Geburtstag 2013 werden die gewählten Opern konzertant nach und nach aufgeführt und zeitnah auf hoch auflösenden CDs (SACD) vorgelegt.
Den Anfang des Projekts machte am 13. November 2010 in der Berliner Philharmonie Richard Wagners Der fliegende Holländer, der nun vorliegt. Wie zu erwarten, spiegelt die klanglich geglättete Liveaufnahme keine Sternstunde, sondern die aktuelle Lage des Wagner-Gesangs. Was vom Komponisten als wohltuende Mischung aus Belcanto und Deklamation gedacht war, wird quer zu einer historisch informierten Aufführungspraxis zum Sprechgesang degradiert und als Charakterdarstellung schöngeredet. Albert Dohmen, einer der gefeierten Wagner-Sänger unserer Tage, richtet sich genau danach. Er forciert auch noch, wohl um sich gegen das Bühnenorchester durchzusetzen. An kaum einer Stelle etwa im lyrischen Teil seiner großen Auftrittsarie oder in den Duetten kann man von beseeltem Legato-Gesang sprechen. Auch muss der Charakter seines Holländers hinterfragt werden. Er besitzt stimmlich nicht jene heldenhafte Traurigkeit und Weite, mit der Interpreten wie Hans Hotter oder George London die Partie zu veredeln wussten. Sein Rollenporträt wirkt männlich, verbittert, trotzig.
Nicht viel profilierter ist der gemütliche Daland von Matti Salminen, der den nach dem Golde schielenden Seemann zu eindimensional angeht. Der tenorale Hoffnungsschimmer von Steve Davislim (Steuermann) kann über die defizitären männlichen Stimmen, zu denen auch Robert Dean Smith als Erik gehört, nicht hinwegtäuschen. Vokaler Lichtblick der Aufnahme bleibt Ricarda Merbeth als Senta. Sie ist kein verträumtes Mädchen, das sich den Holländer im Wahn herwünscht, sondern eine selbstbewusste Frau, die weiß, was und vor allem wen sie will. Ihre Stimme sitzt gut, erreicht die Spitzentöne und ist an einigen Stellen sogar warmherzig. Ein Beweis, dass es für den Wagner-Gesang noch Aussichten gibt.
Janowski, der sich bei seiner früheren Ring-Einspielung auf eine weitgehend intakte und wohlabgestimmte Sängerriege verlassen konnte, formt fast im Alleingang das Operndrama. Sein Dirigat ist durchdacht und plastisch gestaffelt, dabei eher kompakt im Klang. Gespielt wird die pausenlose Urversion, die bereits für die Dresdner Uraufführung 1843 in drei Akte geteilt wurde. Allerdings ergänzt sie Janowski musikhistorisch fragwürdig mit den erst 1860 für Paris nachkomponierten Verklärungsschlüssen (Ouvertüre und Finale).
Ein Pluspunkt geht an den Rundfunkchor Berlin. Dennoch: Um rein akustisch am heimischen Lautsprecher zu überzeugen, braucht Wagners packende Sage um Fluch, Gier, weibliche Erlösung und Liebestod mehr vokale Magie. Die fehlt einfach.
Matthias Corvin