Strawinsky, Igor
Der Feuervogel/Psalmensinfonie
Das City of Birmingham Symphony Orchestra ist seiner seit einigen Jahrzehnten gepflegten Tradition, junge Dirigenten zum Künstlerischen Leiter zu ernennen, treu geblieben: Nach Simon Rattle und Sakari Oramo gab im Jahr 2008 der 1978 geborene Lette Andris Nelsons seinen Einstand als Chefdirigent des traditionsreichen britischen Orchesters. Trotz seines noch jugendlichen Alters ist er international höchst gefragt und gilt fast schon als Pultstar, auf jeden Fall aber als einer der vielversprechendsten Orchesterleiter seiner Generation. Schaut man auf seine CD-Einspielungen, so scheint es evident, dass Nelsons Vorlieben auf dem Gebiet der Spätromantik und der klassischen Moderne liegen: Tschaikowsky, Schostakowitsch, Strauss und nun: Strawinsky.
Nelsons hat sich zwei Werke des russischen Meisters ausgesucht, wie sie verschiedener nicht sein könnten: den Feuervogel in der kompletten Ballettfassung von 1910 sowie die Psalmensinfonie, vielleicht die eindrücklichste Komposition aus Strawinskys neoklassischer Phase. Nelsons Interpretation des Feuervogels ist seine reiche Erfahrung mit Bühnenmusik er gastiert regelmäßig an bedeutenden Opernhäusern deutlich anzumerken. Er trifft das gestische Element der Musik auf bewundernswerte Weise. Durchweg relativ zügige, doch nie gehetzte Tempi sorgen für einen nie abreißenden Spannungsfaden. Vor allem gelingt Nelsons eine mustergültige Auffächerung der in diesem Werk ungemein reichhaltigen klangfarblichen und instrumentalen Valeurs. Hervorzuheben sind da besonders die Solisten der Holzbläsergruppe sowie der Streicherkörper, der in die funkelnden Flageolett-Flächen regelrecht eintaucht. Sehr schön realisiert und in seiner zukunftsweisenden Dimension erkannt ist auch das magische Glockenspiel, das sich in keiner der diversen aus dem Ballett extrahierten Suiten findet.
Vielleicht liegen Nelsons letztlich die transparent schillernden Elemente der Partitur, wie sie sich vor allem in ihren ersten beiden Dritteln finden, mehr als die gelegentlich zu Tage tretenden barbarischen Akzente; den Höllentanz Kastschejs hat man anderswo jedenfalls schon diabolischer vernommen. Insgesamt jedoch liefert Nelsons ein rundum überzeugendes, auch klangtechnisch hervorragend gelungenes Dirigat von Strawinskys erstem Meisterwerk.
Ausgerechnet die im Feuervogel so brillante Aufnahmetechnik trägt
jedoch ihren Anteil daran, dass Nelsons Einspielung der Psalmensinfonie nicht in gleichem Maße glücklich macht. Der CBSO Chorus ist nicht hinreichend präsent abgebildet, klingt zu weich und diffus und lässt zudem gelegentlich Wortverständlichkeit vermissen. Auch könnte dieser Chor an rhythmischer Präzision sowie Klangfülle noch an sich arbeiten. An Andris Nelsons Interpretation des Werks ist hingegen nichts auszusetzen. Relativ zügig in den Tempi auch hier, lässt er vor allem der in sich gekehrten Kontrapunktik des zweiten Satzes, aber auch der ätherischen Coda des Finales Gerechtigkeit widerfahren.
Thomas Schulz