Rachmaninoff, Sergej / Alexander Skrjabin

Der Fels/Die Toteninsel / Prométhée, le Poeme du Feu

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Dreyer Gaido 21035
erschienen in: das Orchester 10/2007 , Seite 83

Neueinspielungen von Rachmaninoff und Skrjabin auf einem deutschen Label sind schon deshalb willkommen, weil beide Komponisten dort nicht eben häufig vertreten sind. Gabriel Feltz und die Stuttgarter Philharmoniker eröffnen ihre Produktion mit einem ziemlich selten gespielten Frühwerk Rachmaninoffs: Der Fels op. 7, komponiert nach dem gleichnamigen Gedicht von Lermontow. Nach einem düsteren Einleitungsthema, das das Lebensfatum des männlichen Protagonisten symbolisiert, kommt das auf- und niederwogende Arpeggio als Element des Weiblichen ziemlich munter daher und wird von den Stuttgarter Bläsern elegant und virtuos vorgetragen.
Etwas weniger elegant gerät Rachmaninoffs symphonische Dichtung Die Toteninsel op. 29 nach dem berühmten Gemälde Böcklins. Schon das von Feltz vorgegebene Tempo, das deutlich unter der Metronomangabe des Komponisten bleibt, irritiert den von Boston, Berlin und Petersburg verwöhnten Hörer. Die Begleitfigur im 5/8-Takt kommt daher kaum vom Fleck, wirkt zähflüssig, statisch, vertikal. Keine Spur von dem gruseligen „media vita in morte sumus“, das über dem Orchesterpoem schwebt und dessen Spannung und Dramatik ausmacht.
Nicht unproblematisch gestaltet sich auch die Wiedergabe von Skrjabins Prométhée op. 60, einem gigantischen Gesamtkunstwerk mit Soloklavier und Chor, notiert in einer auf Quartschichtungen basierenden Harmonik, durch die der Komponist zum Pionier der Neuen Musik in Russland wurde. Schon der einleitende Akkord des Poems klingt bei den Stuttgartern dumpf und diffus, die Konturen der Bläser verschwimmen in einem gedämpften brumeux. Ganz anders als bei der Aufnahme mit Boulez und Chicago ermangelt es der vorliegenden Produktion an Größe, Charisma und jener sakral-spirituellen Dimension, wie sie Skrjabin in Vortragsbezeichnungen wie mystérieux, contemplatif oder majesteaux fordert. Auch das Soloklavier, hier in der Besetzung mit Andreas Boyde, wünscht man sich konturierter und stärker hervortretend – Ashkenazy, Argerich und Ugorski lassen grüßen.
Hauptsächlich aber vermisst man den weiten Atem in der musikalischen Textur dieses grandiosen Klangtableaus, für das der Komponist auch ein clavier à lumière vorgesehen hatte. Die mächtig angelegte Schlusspartie wirkt artifiziell und scheint ohne Klimax auszukommen, bei den Schwaben hört das Stück plötzlich auf, von flot lumineux und dans un vertige keine Spur. Im Programmheft zur Uraufführung des Prométhée am 15. März 1911 in Moskau unter Koussevitzky hat die von Skrjabin autorisierte Musikjournalistin Newmarch Anmerkungen zum ideellen Gehalt des Werks gemacht und später in der Musical Times geschrieben: „Die entstehenden Rassen der Menschheit, noch nicht erleuchtet vom Funken des Prometheus, waren physisch unvollkommen, besaßen nur Schatten von Körpern, waren sündelos, weil sie der bewussten Persönlichkeit ermangelten, weil sie, in theosophischen Begriffen, ohne Karma waren. Aus diesem Zustand wurden sie befreit durch die Gabe des Prometheus, das Feuer, das des Menschen bewusste schöpferische Kraft weckte.“
Bei dem immensen Anspruch, der dem Prometheus-Sujet zugrunde liegt, wie Skrjabin es verstanden hat, hätte man sich von den Stuttgartern ein adäquateres Niveau gewünscht, denn eine wahre Interpretation, so Adorno, muss alle Relationen sichtbar machen, sie ist gleichsam die Röntgenaufnahme des Werks.
Michael Loeckle