Perl, Helmut

Der Fall “Zauberflöte”

Mozart und die Illuminaten

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Atlantis, Zürich/Mainz 2006
erschienen in: das Orchester 10/2006 , Seite 90

Dass im Jahr des Blockbusters Da Vinci-Code – Sakrileg auch ein „Sachbuch“ zu Illuminaten mit dem „Bonus“ Mozart nicht fehlen darf, war fast zu befürchten. Doch herrscht hier Etikettenschwindel, das Buch erhielt den jetzt vorliegenden Titel erst nach dem Tod des Verfassers im Jahr 2004. Bibliotheken wurde es vor der Erstveröffentlichung im Jahr 2000 mit dem Titel Königin der Nacht. Mozarts Zauberflöte neu interpretiert gemeldet, und es erschien schlussendlich mit dem zwar identischen Haupttitel, doch lautete der Untertitel „Mozarts Oper im Brennpunkt der Geschichte“.
Ernst Helmut Perl hatte Kirchen- und Schulmusik studiert und war als Organist und Cembalist tätig. Leider spricht aus seiner Arbeit eine teilweise fast polemisch zu nennende Ablehnung der Musikwissenschaft, sodass Perl sich halb und halb selbst um Erträge bringt, die eine Auseinandersetzung mit der vorhandenen Literatur hätte ergeben können; dass es zu einem derart beliebten Werk wie der Zauberflöte auch weniger gute Literatur gibt, ist wohl selbstverständlich und trifft auf fast alle beliebten Werke zu.
Helmut Perl konzentriert sich in dem Buch – dies erweisen auch die ursprünglichen Titel – auf Mozarts freimaurerisch-illuminatischen historischen Hintergrund und versucht auf diesem Hintergrund die Zauberflöte neu zu interpretieren. „Freimaurerisch-illuminatisch“ muss erläutert werden: Perl weist Mozart nicht den Logen der Freimaurer zu (der Begriff der Freimaurer wird von ihm eher allgemein-übergeordnet genutzt), sondern jenen der „Illuminaten“, der Ausprägung der Freimaurer, die die katholische Kirche aktiv bekämpften (im Gegensatz zu den „Rosenkreuzern“, die mit der katholischen Kirche auf eher freundschaftlichem Fuß standen). Perl sieht alle wirklich aufklärerischen Kräfte im 18. und frühen 19. Jahrhundert als den Illuminaten zugehörig – also auch Goethe, Knigge und Kant, aber auch Haydn und selbst Beethoven. Vom bayerischen Hof ging ab 1787 eine regelrechte Illuminatenhatz aus, die in der Restauration der nachnapoleonischen Ära kulminierte.
Viele Zutaten finden wir hier also zu Verschwörungsromanen – doch solche Zutaten gehören nicht in ein Sachbuch, das ansonsten sauber recherchiert sein mag. Und Perl recherchiert differenziert, wertet zahllose Primärquellen der Zeit aus, nutzt Mozarts eigene Bibliothek ausführlich und findet in einem „Illuminatenhain“ bei Wien selbst die Bühnenbildvorlagen für die Wiener Erstaufführung der Zauberflöte. Das heißt, er findet in der Tat zahlreiche Details, die für Mozarts Vita nicht unwichtig sind und die womöglich auch erklären, warum der Wiener Klerus zögerlich war, als es darum ging, Mozart die letzte Ölung zu verabreichen. Fraglos spielten solche Details auch mit in die Konzeption der Zauberflöte hinein, die Perl als eine „Illuminaten-Allegorie“ ansieht, die ein utopisches neues Gesellschaftsbild entwirft.
Die „Königin der Nacht“ (nicht identisch mit der „sternflammenden Königin“ der Weisheit) versteht Perl als Personifizierung der katholischen Kirche, Papageno und Papagena (und zu einem gewissen Grad auch Pamina) als papa-geni, d.h. vom Papst (papa) quasi geboren bzw. abhängig; Sarastro ist natürlich eine Umformung Zoroasters/Zarathustras, Tamino (Tanimu) ist eine Umkehrung aus Illuminat. Dass diese Interpretationen manches Mal höchst gewagt erscheinen und gelegentlich gar die Grenzen des Lächerlichen streifen, soll einen möglicherweise vorhandenen wahren Kern nicht ausschließen.
Was nicht in Perls Argumentation passt, bezeichnet er jedoch kurzerhand als „Umkleidung“, als „unwesentliche Handlungen und Dialoge“. Dass hierunter nicht nur ganze Szenen (u.a. die Selbstmordversuche zu Beginn des Finales, II. Akt), sondern auch zentrale Musiknummern (das Duett Papageno-Pamina im I. Akt) oder gar die drei Knaben fallen, kann hier aber nicht unterschlagen werden und zeigt, auf welch wackeligen Füßen seine Argumentation steht; auch dass es offensichtlich weiterhin eine Mehrklassengesellschaft gibt (Monostatos wird keineswegs als Unterdrückter interpretiert, sondern als „in seinem Egoismus befangen“ – wo doch auch Sarastro mit der Entführung Paminas seine Ziele verfolgt; die Entführung einer Tochter als Kavaliersdelikt zu betrachten, ist Chauvinismus schlimmster Couleur – sei die Mutter wie sie wolle. Oder ist derartiges „unwesentlich“?).
Leider wurden Mängel der ersten Auflage (etwa die Unvollständigkeit des Namensregisters, das Fehlen eines Sachregisters, die Unvollständigkeit des Glossars, in dem etwa „Freimaurer“ überhaupt nicht vorkommt, aber auch das Fehlen etwa von Fotos des „Götterhaines“ im heutigen Zustand) nicht beseitigt – faktisch handelt es sich hier um einen (den Untertitel ausgenommen) unveränderten Nachdruck der Erstausgabe. Als Studie im Sinne von Perls ursprünglichen Intentionen sicher weiterhin eine gewinnbringende Lektüre, aber mit dem neuen Untertitel äußerst nahe am Sensationsroman. Dass Perl einige zusätzliche Aspekte zur Zauberflöte aufdecken mag, wird gerne zugestanden, dass er aber die Rätsel der Zauberflöte gelöst hätte (wie er behauptet), trifft leider nicht zu.
Jürgen Schaarwächter