Romano-Lax, Andromeda

Der Bogen des Cellisten

Roman

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Bloomsbury, Berlin 2008
erschienen in: das Orchester 06/2008 , Seite 58

„Gebe ich meinem Leben den richtigen Inhalt? Ist Kunst in schwierigen Zeiten ein Luxus oder notwendig? Muss ich mein eigenes Glück dem Geschehen um mich herum opfern?“ Im Nachwort ihres Romans führt Andromeda Romano-Lax aus, sie selbst habe sich an bestimmten Punkten ihres Lebens mit derlei existenziellen Fragen konfrontiert gesehen und sie daher zu Antriebsmotoren der Romanhandlung umfunktioniert. Ursprünglich sei es ihre Absicht gewesen, ein Sachbuch über ein anderes Thema zu schreiben, dann jedoch, unter dem Eindruck des 11. September 2001, habe sie den Wunsch verspürt, sich „in etwas Schönes, Hoffnungsvolles zu versenken, und für mich hat das Cello immer schon den Klang von Hoffnung und Menschlichkeit verkörpert“. Die Weltuntergangsstimmung nach 9/11 habe zudem ihre Intention darauf gerichtet, „eine heroische Geschichte zu erzählen, weil ich förmlich ein Bedürfnis nach solchen Geschichten verspürte“. Anmerkungen, die den Verdacht erregen mögen, hier könnte dem Strom der Gefühle allzu freier Lauf gelassen worden sein.
Glücklicherweise ist die Befürchtung unbegründet. Der 1970 geborenen, zuvor als Journalistin und Reiseschriftstellerin hervorgetretenen US-Amerikanerin ist ein Buch geglückt, in dem Stilempfinden, Einfühlungsvermögen und Humor auf einen gut recherchierten zeit- und musikgeschichtlichen Hintergrund treffen: Feliu Delargo, 1892 in Katalonien geboren, wächst in einfachen Verhältnissen auf und bewahrt in seinen Habseligkeiten einen alten Cellobogen, der einst seinem Vater gehört hat. Früh entdeckt Feliu seine Liebe zum Cello und begibt sich auf einen steinigen Weg vom Straßenmusikerdasein bis hin zur Weltkarriere. Mit dem Pianisten El-Cerraz verbindet ihn eine spannungsreiche, nicht zuletzt durch eine „Dreiecks-Geschichte“ gewürzte Freundschaft. Doch Feliu verkörpert nicht allein musikalische Genialität, sondern eine aufrechte, freiheitliche Gesinnung, die ihn in Konflikt bringt mit repressiven politischen Systemen.
Unschwer ist hinter dieser Geschichte die Vita des Cellisten Pablo Casals zu erkennen. Doch Feliu ist nicht Casals, ebenso wenig wie El-Cerraz gänzlich mit dem Komponisten Albeniz identifiziert werden könnte. Mit viel Geschick führt Romano-Lax historische Persönlichkeiten des 20. Jahrhunderts als Nebenfiguren ins Geschehen ein: Die Protagonisten begegnen Picasso, Elgar, Brecht, Weill, dem legendären Fluchthelfer Varian Fry sowie Franco und Hitler – ein gewagtes, durchaus gelungenes Spiel mit verschiedenen Erzählebenen.
Dem kritischen Leser fallen marginale sachliche Fehler auf, die teils der Übersetzung geschuldet sein mögen und den positiven Gesamteindruck des Buchs nicht stören: Eine „lose Stimmschraube am Steg“ ist (gottlob!) Fiktion, in der Elgar-Passage findet sich dort, wo vom Orchesterpart die Rede ist, fälschlich der Begriff „Orchestrierung“, und Beethovens „G-Dur“-Menuett (aus WoO 10) steht in der Cello-Bearbeitung in D-Dur und ist in dieser Version auf beigelegter CD auch von Meister Casals zu hören.
Gerhard Anders