Funke, Klaus

Der Abschied oder Parsifals Ende

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Faber & Faber, Leipzig 2007
erschienen in: das Orchester 07-08/2008 , Seite 61

Er galt als Genie, aber auch als schwieriger Zeitgenosse, als ein Mann, der „statt eines Herzens einen Notenschlüssel in der Brust trüge“. Die Rede ist von Hans von Bülow, dem Protagonisten in Klaus Funkes Roman. Zwischen 1880 und 1885 war Bülow Intendant der herzoglichen Hofkapelle Meiningen, und in dieser Zeitspanne ist die Handlung angesiedelt: Bülow ist trotz seiner angegriffenen Gesundheit besessen von der Musik; er verehrt Johannes Brahms und hat ein ambivalentes Verhältnis zu Richard Wagner, für den seine Frau Cosima ihn verlassen hat. Bülows zweite Frau Marie, eine ehemalige Schauspielerin, pflegt den um viele Jahre älteren Mann aufopferungsvoll, aber seine Leidenschaft für die Musik ist ihr fremd. „Ich sitze hier, lese, pflege dich, vertreibe mir die Zeit, so gut es geht“, wirft sie ihm vor. „Aber kaum ist der Herr wieder bei Kräften, bin ich vergessen, ist alles vergessen, hat er nur sein Geistiges, seine Musik, seinen alten Brahms im Kopf…“
Funke entwirft ein lebendiges Bild des alternden Musikers. Bülow ist hochfahrend, leidenschaftlich, rücksichtslos in seiner Egozentrik, gequält von seiner Vergangenheit, ruhelos in den Gedanken an Cosima und Richard Wagner. „Bülow fühlte, wie sich seine Erinnerung, sein Herz, seine Seele dennoch nicht zu lösen vermochten, wie er in suggestiver Selbstberuhigung nur immer bloß dachte, dass er frei wäre von ihm, frei wäre aus dieser Umklammerung, es aber doch nicht war – ein Letztes hielt ihn noch, ein Letztes, Ungenanntes, Unaussprechliches, Unerklärbares, das er nicht loswürde und ihn nicht erlöse von seinen Qualen.“ Wagners Tod in Venedig markiert den Höhepunkt von Bülows Zusammenbruch, erst bei einem Kuraufenthalt in Wiesbaden findet er wieder zu sich – und in ein letztes Liebesabenteuer mit seiner Zimmerwirtin Cecile Mutzenbecher.
Der Erzähler und Hörfunkautor Klaus Funke hat sich so detailliert wie möglich in die Person Hans von Bülows versetzt. Er zeigt Bülow als wütenden Antisemiten und arroganten Egoisten, als einen Besessenen, der mit seinem Orchester Erfolge feiert und stets auf der Jagd nach der Vollkommenheit ist. „Wir erschaffen nichts neu, dachte Bülow, wir sind nur auf der Suche, wir spüren nach – das ist wahre Genialität. Wir sind die Spürhunde, die Verborgenes herausfinden, um es hörbar zu machen.“ Auch stilistisch begibt sich Funke in die Zeit seines Protagonisten: Er erzählt umständlich und gewunden, verliert sich in Beschreibungen, wird manchmal langatmig, aber wirkt selbst dabei doch immer authentisch.
So kommt der rast- und ruhelose Bülow dem Leser von heute nahe, als Musiker, aber auch und vor allem als Mensch. Die Musik ist Bülows Lebenszentrum, um ihretwillen vernachlässigt er alles andere, aber der Preis, den er dafür bezahlen muss, ist hoch: „Vor dem Spiegel stehend wusste Bülow auf einmal, ein kalter Engel hatte ihn von der Welt, die warm, irrsinnig, aber voll sehnsüchtiger Liebe war, entfremdet und in namenlose Einsamkeit gestoßen.“
Irene Binal

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