Stiftung Lucerne Festival (Hg.)

Das Wunder von Luzern

Claudio Abbado und das Lucerne Festival Orchestra/Pierre Boulez und die Lucerne Festival Academy

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Henschel, Leipzig 2013
erschienen in: das Orchester 11/2013 , Seite 65

Das Lucerne Festival begeht in diesem Jahr ein dreifaches Jubiläum. Vor 75 Jahren – genauer gesagt am 25. August 1938 – dirigierte Arturo Toscanini im Garten der Wagner-Villa in Tribschen ein neu formiertes Orchester aus bekannten Solisten und Kammermusikern. Das „Concert de Gala“, das in Zeiten von Nazi-Diktatur und Faschismus auf politisch neutralem Boden stattfand, gilt als Geburtsstunde des heute renommiertesten Schweizer Musikfestivals.
An diese Tradition anknüpfend, tritt der Dirigent Claudio Abbado seit 2003 mit einem von ihm selbst zusammengestellten Eliteorchester am Vierwaldstättersee auf. Ebenfalls seit zehn Jahren führt der Komponist und Dirigent Pierre Boulez in der Lucerne Festival Academy junge Instrumentalisten und Dirigenten an Neue Musik heran. Der großzügig bebilderte Jubiläumsband Das Wunder von Luzern rollt die Erfolgsgeschichte des Festivals auf und lässt neben den beiden großen Leitfiguren auch viele Wegbegleiter zu Wort kommen.
Abbado sieht in Luzern alle Voraussetzungen erfüllt, um sein Ideal von Kammermusik unter Freunden mit einem großen Orchester umzusetzen. „Das Hören gehört zum Wichtigsten beim Musizieren“, erklärt er in einem Doppelinterview mit Boulez, das von Peter Hagmann und Wolfgang Schreiber geführt wurde. Im Lucerne Festival Orchestra musizieren Solisten und Kammerensembles gemeinsam mit dem Mahler Chamber Orchestra, keiner von ihnen gehört mehr zum Nachwuchs. Und doch ist „Jugend“ ein Schlüsselbegriff, der in Abbados Denken allgegenwärtig ist. Von allen Musikern erwartet er eine geistige Offenheit, die jegliche Altersgrenzen überbrückt.
Mit der gesamten künstlerischen Vita des Mailänder Dirigenten befasst sich ein ausführliches Porträt von Julia Spinola mit dem Titel „Großzügigkeit macht reich“. Als Gratulanten melden sich zudem Künstler wie Daniel Harding, Alfred Brendel, Rachel Harnisch, Anna Larsson oder Maria João Pires zu Wort, die auf eine lange Zusammenarbeit mit Abbado zurückblicken. Die Orchestermanagerin des Festivals, Christiane Weber, berichtet von einer spannenden Tätigkeit fernab jeder Routine.
Boulez wiederum beschreibt seine Akademie als wichtige Ergänzung zu Lehrinhalten an Konservatorien, wo Modernes und Zeitgenössisches bisher kaum vermittelt werden. Bei den Nachwuchsmusikern im Akademieorchester spürt er große Begeisterung: „Was zunächst noch fehlt im Metier, das wird kompensiert durch einen unglaublichen Eifer, durch die Begierde, etwas zu lernen.“ Diesen Einsatz würdigen Kollegen wie Daniel Barenboim und Peter Eötvös sowie der Pianist Pierre-Laurent Aimard, während Maurizio Pollini und Wolfgang Rihm den Bogen zwischen Abbado und Boulez spannen. Abgerundet wird das Bild durch die Erfahrungen von Intendant Michael Haefliger sowie eine detaillierte Übersicht über zehn Jahre Konzerte und die Orchestermitglieder.
Corina Kolbe