Bach, Johann Sebastian
Das Wohltemperierte Klavier
arr. für Streichquartett, 2 CDs
Das Modern String Quartet aus München ist mit dem Kronos Quartet aus San Francisco zu vergleichen: Beide haben ein unkonventionelles Repertoire, das Jazz und Popularmusik einschließt. Während das kalifornische Quartett den Schwerpunkt in der Neuen Musik setzte, begann das bayerische um 1987 zunächst mit Jazz etwa Duke Ellington oder Miles Davis und wurde so zum Vorläufer für eine ganze Reihe Gruppen in Europa. Doch die Münchner spielten bald auch Zeitgenössisches von Glass, Zappa und Cage neben klassischer Moderne von Strawinsky, Schostakowitsch oder Weill. Sie erschlossen sich ebenso Beethoven und Schubert, Letzteren mit eigener Liedbearbeitung. Und sie spielten Bach: 1994 eine CD mit der Kunst der Fuge. Doch keine falsche Annahme! Das ist kein verjazztes Barock, kein Play Bach!
Dieser CD ließen der Primarius Joerg Widmoser und seine Kollegen Winfried Zrenner (Violine), Andreas Höricht (Viola) und Jost-H. Hecker (Cello) jetzt ein noch anspruchsvolleres Projekt folgen: eine Umsetzung des ersten Bandes von Bachs Wohltemperiertem Klavier auf dieser Doppel-CD. Während die Kunst der Fuge als vierstimmiges Werk fast bruchlos aufs Quartett übertragbar war, bedurfte es nun einer Bearbeitung des an die Grenzen der Aufführungsmöglichkeiten gehenden 48-teiligen Werks. Es markiert mit 24 Präludien und Fugen die Essenz von Bachs pädagogischem und klavieristischem Denken. Widmoser als Bearbeiter nennt die Musik hervorragendes Übungsmaterial für Streicher, weil diese auch schwierige Tonarten etwa Cis-Dur spielen müssen. Eine besondere Herausforderung war das Arrangieren der Präludien: Im Original nur zwei- bis vierstimmig, war es mein Ziel, grundsätzlich einen vierstimmigen Satz zu schreiben. In die Faktur der Bachschen Origniale habe er nur eingegriffen, wenn es nötig war. Er hoffe, mit der Bearbeitung (verlegt bei Edition Rhapsodie in der Seña Music Group) Musikern von Quartetten Inspiration zu bieten.
Der 1722 in Köthen vorgelegte Band I (zum Teil wahrscheinlich früher entstanden) wirkt obwohl eher nur als Sammlung gedacht wie aus einem Guss. Und so präsentieren ihn auch die Münchner. Das eröffnende C-Dur-Präludium wird brillant, zügig vorgetragen. Die Fuge erklingt mit großer Klarheit. Das ideal eingespielte Quartett gestaltet die Polyfonie mit weichem Puls, natürlich ohne romantisierendes Rubato. Das 3/8-Präludium in Cis-Dur kein Tonart-Problem! wird in trefflichen dynamischen Bögen geformt. Bei der Fuge fügen sich die Linien organisch wie in gemeinsamem Atem: wohltemperiertes Streichquartett. Höhepunkte sind auch der ernste Gesang der Fuge cis-Moll, das rasche D-Dur-Präludium mit gerade so viel Virtuosität wie bei Bach erlaubt und dessen tänzerische Fuge mit dem Charme eines Mozart-Menuetts. Ähnlich mustergültig ist das G-Dur-Paar. Und ein ruhiger Satz wie das Präludium patheticum b-Moll strahlt die Wärme italienischer Adagios aus. Das alles ist Kammermusik auf Meisterkonzert-Niveau.
Günter Buhles