Singer, Lea

Das nackte Leben

Schicksal und Liebe der Constanze Mozart, Roman

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: DVA, München 2005
erschienen in: das Orchester 02/2006 , Seite 75

Wer war Constanze Mozart? Wolfgang Amadeus Mozart charakterisierte seine zukünftige Gattin in einem Brief an seinen Vater als „nicht häßlich, aber auch nichts weniger schön, ihre ganze Schönheit besteht aus zwei kleinen schwarzen Augen und in einem schönen Wachstum. Sie hat keinen Witz, aber gesunden Menschenverstand genug um ihre Pflichten als Frau und Mutter erfüllen zu können.“ War Constanze Mozart nun die Frau von „bestürzender Banalität“, die Wolfgang Hildesheimer ihr in seinem Mozart-Buch aus dem Jahr 1977 attestiert? War sie eine jammernde, fordernde, aufrechnende Intrigantin und Erfüllungsgehilfin der Familie Weber, die nur im Sinn hatte, den erfolgreichen Komponisten Mozart in seiner Arglosigkeit auszubeuten, wie es etwa Dorothea Leonhardt in ihrer Mozart-Biografie von 1991 auszuführen versuchte?
Die wenigen überlieferten Fakten belassen das Bild der Constanze Mozart merkwürdig blass. Diese Blässe wiederum ist ein ideales Spielfeld für Projektionen, auf dem faktische Leerstellen mit eigenen Bildern gefüllt werden können. Constanze Mozart hat das ihrige dazu beigetragen, die Spuren ihres Lebens zu verwischen, indem sie ihre Briefe an Wolfgang Amadeus Mozart vernichtet hat.
Die Autorin Lea Singer liefert mit dem Roman Die nackte Wahrheit einen neuen Deutungsversuch von Mozarts „geliebtem Weibchen“. Welche Constanze präsentiert uns die Autorin in ihrem Buch mit dem dramatischen Titel?
Constanze Weber ist hier eine Frau, die sich im Laufe ihres Lebens ihren Platz in der Welt erkämpft. Als Aschenputteltochter der Musikerfamilie Weber, die „als Kind immer wieder locker sitzende Steine umgedreht hat und die Asseln und Würmer und Käfer auf der Unterseite betrachtet“, als ein hässliches Entlein behauptet sie sich gegenüber der Schwester Aloisia mit der schöneren Sopranstimme und der exaltierteren Art auf stille, trotzige Art, auch wenn diese Behauptungsversuche immer wieder von Selbstzweifeln durchbrochen werden.
Die Liebe zu Wolfgang Amadeus ist eine durch dessen Musik entstehende, die stille und sofort getroffene Entscheidung Constanzes für den Komponisten wird als eine für dessen geniale Musik beschrieben. Und alle im Laufe der Ehejahre aufkommenden Zweifel an der Person des Gatten, den uns der Roman als vollkommen alltagsuntauglich, täppisch, kindisch, von Musik besessen und dem anderen Geschlecht alles andere als abhold vorstellt, werden letztlich von Mozarts Musik aus dem Bewusstsein verscheucht. Constanze Mozart ist in Das nackte Leben eine Art intuitive Kassandra, die von der ersten Begegnung mit dem Komponisten an zu wissen scheint, dass sie es mit einem Genie zu tun hat.
Erzählt wird die Geschichte von Mozarts Ende her, ausgehend von den Momenten der Einsamkeit der Witwe am Sterbebett, deren Verzweiflung den Trotz zum Weiterleben nach sich zieht. Dann blendet Singer zurück und rollt das Leben von Constanze Mozart ausgehend von der Kindheit auf. Das zu Beginn des Romans eingeführte Moment des trotzigen, hin und wieder kaltschnäuzigen Überwindens jeder eigenen Verzweiflung ist der rote Faden des Romans, das Hauptcharakteristikum der imaginierten Komponistengattin.
Dass dieser immer wieder beschworene „Stehaufweibchen-Gestus“ im Lauf der Lektüre zunehmend mechanischer anmutet, hängt an der einer Petit-Point-Stickerei vergleichbaren Detailverliebtheit Singers, die genaue Beschreibungen der verbürgten Stationen des Ehelebens liefert und adjektiv- und dialogreich Atmosphärisches aufs Papier zu bannen versucht. Darüber kippt die blumige Sprache immer wieder in kitschige Klischees um: Mozarts Hände sehen in Constanzes Augen „blaß, muskulös, aber weich und verletzlich“ aus, er hat „ahnungslose Haut, dünn und zart, stellenweise wund, wie die eines Kindes“. Solche Geschwätzigkeit verschüttet die Unbekannte in süßem Sprachbrei, durch den hindurchzuessen wenig dazu beiträgt, einen klareren Blick auf Constanze Mozart zu entwickeln.
Leider reizt die These Singers im Gegensatz zu den genannten von Hildesheimer oder Leonhardt nicht einmal zu heftigem Widerspruch. Eher gelangweilt stellt man fest, dass Pragmatismus, Durchhaltevermögen und Liebe zur Musik zwar schätzenswerte Eigenschaften sind, aber längst nicht ausreichen, um einen Typus zu einer Identifikationsfigur werden zu lassen. Auch wenn Singer immer wieder versucht, auch Aspekte vor allem von Mozarts Opernwerk zu diskutieren, bleibt das Buch zu dürftig, um das Rätsel der Constanze Mozart aus einer neuen Perspektive zu beleuchten.
Beate Tröger