Gustav Mahler

Das Lied von der Erde

für Tenor- und Alt- (oder Bariton-)Stimme und Orchester, hg. von Christian Rudolf Riedel, Partitur

Rubrik: Rezension
Verlag/Label: Breitkopf & Härtel
erschienen in: das Orchester 7-8/2023 , Seite 66

Gustav Mahler hat die endgültige Gestalt seiner sinfonischen Werke bekanntermaßen erst nach den ersten Aufführungen unter seiner Leitung festgelegt und die konkreten Erfahrungen bei der Erarbeitung und Wiedergabe mit Orchester in den Notentext mit einfließen lassen. Beim Spätwerk, also dem Lied von der Erde, der 9. und selbstredend bei der unvollendet hinterlassenen 10. Sinfonie war das Mahler nicht vergönnt. Diese Stücke wurden erst nach seinem Tod uraufgeführt. Es ist also wahrscheinlich, dass Mahler nach eigenen Einstudierungen sein Spätwerk mehr oder weniger auffällig revidiert hätte.
Doch auch bei den Werken, die er selbst geleitet und dann mit Änderungen im Notentext versehen hat, ist die Sachlage nicht immer eindeutig: Die Kritische Gesamtausgabe hat im Laufe der Zeit immer wieder veränderte Versionen vorgelegt, nicht zuletzt vor dem Hintergrund neuer Quellenfunde. Wie der Herausgeber der neuen Mahler-Ausgabe bei Breitkopf & Härtel, Christian Rudolf Riedel, im Vorwort sagt, seien diese Modifikationen in die bekannte historische Stichvorlage eingearbeitet worden. Die nun im Entstehen begriffene neue Edition bringt dagegen einen ganz neuen und größeren, in der Tat wie beabsichtigt deutlich besser lesbaren Satz.
Doch das ist nur ein Vorzug der neuen Bände. Der andere ist – wie im Fall des Liedes von der Erde sehr gut nachzuvollziehen – eine differenzierte Neubewertung der Quellenlage. Die ist bei der von Mahler ja bewusst nicht nummerierten Sinfonie für Tenor- und Alt- (oder Bariton-)Stimme und Orchester sehr komplex, denn es gibt hier nicht nur die Orchesterpartitur als Autograf und eine Abschrift sowie die Druckfassung, sondern auch ein Klavierautograf von Mahler. Zwischen all diesen Quellen besteht in nicht wenigen Details keine Übereinstimmung. Wie der Herausgeber betont, folge seine Ausgabe dem Partiturautograf und der Erstausgabe als Hauptquellen. Er gibt aber auch der Kopie von Johann Forstik neues Gewicht und hebt hervor, dass in ihr Mahler seine letzten Eintragungen zum Lied von der Erde hinterlassen habe.
Die Ausgabe ist denn auch mit einem umfangreichen Revisonsbericht versehen, der über die konkreten editorischen Entscheidungen detailliert Auskunft gibt. Hinzu kommen ein Glossar, drei Faksimiles aus dem Partiturautograf Mahlers und gleichsam zwei Vorworte des Hamburger Mahler-Forschers Constantin Floros. In diesem Sinn ist die Ausgabe ein wichtiges Werk für die zukünftige Beschäftigung mit dieser Sinfonie, die ja zu Mahlers populärsten und am meisten aufgeführten Kompositionen zählt. Sie hat ihren Wert sowohl für die musikalische Praxis auf der Suche nach einem verlässlichen und in seinen Details nachvollziehbaren Text als auch für die Musikwissenschaft und Mahler-Forschung, deren Grundlage ja eine sichere Quelle sein soll.
Karl Georg Berg

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