Konstanzia, Gordana
Das Leichte und das Schwere
Musikstruktur, Maß und Diktion
Je gutwilliger der Leser ist, desto mehr Verlegenheiten bereitet ihm dieses Buch. Einerseits widmet es sich mit großem persönlichen Engagement einem schwierigen, in jeder Interpretation neu anstehendem Problem, zudem einem, bei dessen Behandlung Theorie und Praxis jeweils neu zueinander finden müssen; andererseits hält die Verfasserin wenig von, seit Jahrhunderten geleisteten Vorarbeiten und nährt den Verdacht, sich als Ruferin in der Wüste aufspielen zu wollen. Einerseits schreibt sie ad usum delphini, etwa bei der Übersetzung geläufigster Fachtermini, andererseits prätendiert sie, u.a. in kulturtheoretischen Exkursen oder pauschaler Kritik an der Musikwissenschaft, eine Kompetenz, die eher den Spezialisten meint.
Gewiss tut jedem Sachgebiet eine unbefangene Annäherung gut, welche terminologisch ausgetretene Pfade zunächst meidet Begriffe pflegen unsere Denkweisen ja auch zu kanalisieren. Indessen steht es in diesem Bereich um einschlägige Kategorien nicht so schlecht; führt man neue ein DynaMetrik, metrischer Raum etc. , dann sollten sie genau definiert, sollte ihr Verhältnis zu den geläufigen thematisiert werden. So bleibt z.B. bei der Betrachtung deklamativer Schweren deren Verhältnis zur normativen Periodik ungeklärt; Antworten auf die Frage, wo sie diese bestätigen bzw. ihr entgegenwirken, versprächen im Hinblick auf die Begriffe wie auf die Gegenstände Klärungen, an denen der Autorin gelegen sein müsste.
Das Unbehagen des Lesers wächst, wenn sie en passant fragt, ob Picasso, der ganz ungeniert in den Gesichtern klotzige Verschiebungen malte, dafür verantwortlich sei, dass auch allgemein in der Musik ein fröhliches Demontieren der elementaren Grundsätze salonfähig bzw. bühnenfähig geworden ist. Es wächst um so mehr, als sich damit ein rechthaberischer Habitus bestätigt, der Bezugspunkte und Belege sucht bzw. ignoriert, wo und wie er sie braucht. Noch die Diktion bestätigt das kontinuierliche Gedankenführung und Argumentation tritt hinter der Reihung apodiktischer Behauptungen zurück. Und was im Sinn des Anliegens am dringlichsten erscheint: schlüssige Einlösung und Exemplifikation der Theorie anhand der musikalischen Beispiele, bleibt weitgehend auf der Strecke; selten sind die Befunde so eindeutig, dass sie mithilfe der auf Seite 51 aufgeführten Symbole hinreichend erklärt werden könnten.
So lohnt es kaum, sprachliche Unebenheiten und mangelnde Kenntnis der Kommasetzung einzuklagen oder verwundert zu sein, dass Heinrich Christoph Koch in Rudolfstadt anstatt Rudolstadt angesiedelt und die Schildkröte aus Saint-Saëns Karneval der Tiere herangezogen wird ohne Hinweis auf das ironische Zitat des berühmtesten Cancans aller Zeiten.
Dass die Verfasserin an einen wunden Punkt rührt, steht außer Frage ein solcher war er wohl, seit rhetorische bzw. prosodische Aspekte in Vergessenheit gerieten; dass sie den für eine Betrachtung hieraus erwachsenden Kredit nicht genutzt hat, ist bedauerlich.
Peter Gülke


