Böhm, Claudius

Das Gewandhaus-Quartett

und die Kammermusik am Leipziger Gewandhaus seit 1808

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Kamprad, Altenburg 2008
erschienen in: das Orchester 12/2008 , Seite 61

Mit 200 Jahren ist das Gewandhaus-Quartett die weltweit älteste Quartettformation. Anlass für Claudius Böhm, wissenschaftlicher Mitarbeiter des Gewandhauses in Leipzig, mit seinem Buch über das Quartett nicht nur eine große Wissenslücke in der Leipziger Kulturgeschichte, sondern auch eine ebenso große in der Musik- und Interpretationsgeschichte zu schließen. Ist es doch die erste umfangreiche Veröffentlichung überhaupt, die über diese Leipziger Institution existiert. Ein Buch, das in einem flüssig geschriebenen Text die Geschichte des Quartetts von der Frühzeit bis hinein in die heutigen Tage erzählt. Eine „Pflichtlektüre“ nicht nur für Musikwissenschaftler, sondern auch für alle interessierten Kammermusikliebhaber.
Sich auf zeitgenössische Quellen berufend und sie zitierend, zeichnet der Autor detailgenau die verschiedenen Epochen des Gewandhaus-Quartetts nach, beschreibt dabei nicht nur die Herkunft und Eigenheiten bedeutender Mitglieder (Bartolomeo Campagnoli, Julius Klengel, Joseph
Joachim oder Ferdinand David), sondern auch von vielen Mitgliedern, deren Namen heute niemand mehr kennt. Claudius Böhm beschreibt aber auch die Eigenarten, die bis heute typisch für das Gewandhaus-Quartett sind, wie die Aufnahme von eigenen Söhnen, Enkeln oder Schülern in den Kreis der Mitglieder, die der Autor anhand von biografischen Anmerkungen schon in den frühesten Jahren nachweist.
Gleichwohl bleibt auch so manches – in Ermangelung von eindeutigen Quellen – Spekulation, die Böhm dann aber auch als solche benennt. So etwa, wenn er über die erste öffentliche Aufführung von Beethovens Streichquartett op. 74 durch die Leipziger spricht. Claudius Böhm benennt aber auch Ungenauigkeiten und Unrichtigkeiten, die über das Gewandhaus-Quartett im Umlauf sind. So räumt er beispielsweise mit der Mär von der großen „personellen Kontinuität“ in der Besetzung des Ensembles genauso auf wie mit der Sage über das angeblich „ununterbrochene Bestehen“ des Quartetts seit 200 Jahren.
Böhm weist dank seiner Detailkenntnisse darauf hin, dass es nicht immer die ersten Streicher waren, die Konzertmeister, Solo-Bratscher und Solo-Cellisten des Leipziger Gewandhausorchesters, die das Quartett bildeten, und nennt die Namen der Tuttisten, die zeitweise Mitglieder des Traditionsquartetts waren. Aber auch andere Quartettvereinigungen, die aus dem Leipziger Orchester hervorgegangen sind und „Kammermusik am Gewandhaus betrieben haben“, finden in diesem Buch Erwähnung wie das Brodsky-Quartett, das Genzel-Quartett, das Stiehler-Quartett oder das Pal-Quartett, Quartette, die manchmal selbst zum Gewandhaus-Quartett mutierten oder aus denen einzelne Mitglieder zum Gewandhaus-Quartett wechselten.
Im umfangreichen Anhang des zweisprachigen (deutsch/englisch) Buchs findet sich neben einem Namensregister, einer Chronologie sowie einer Konzertstatistik mit Werk- und Interpretenregister auch eine Diskografie. Dass diese nur bis ins Jahr 1995 zurückreicht, mag man bedauern, veranlasst aber vielleicht so manchen Leser, sich auch selbst auf die Suche nach den älteren Tonaufnahmen zu begeben.
Burkhard Laugwitz