Karg-Elert, Sigfrid

Das geistliche Chorwerk

Chorkanzonen, Benedictus, Requiem

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Genuin GEN 88130
erschienen in: das Orchester 02/2009 , Seite 65

Es gibt Komponisten, denen selbst Jubiläumsjahre kaum zu mehr Bekanntheit verhelfen. Einer von ihnen ist Sigfrid Karg-Elert. Dass er seinen Vornamen später „nordisch“, ohne Dehnungs-e’s schrieb und seinen Namen um den Mädchennamen seiner Mutter erweiterte, mag seinen Ruf als Sonderling noch gefördert haben.
Der gebürtige Württemberger kam bereits 1883 im Alter von sechs Jahren nach Leipzig und genoss kompetenten Unterricht am Landeskonservatorium. 1919 trat er hier die Nachfolge Max Regers an. Diesem Ge­nius (und dessen zweifellos neugierigem Blick auf aktuelle musikalische Entwicklungen) blieb Karg-Elert verhaftet. Der der Sachlichkeit zugeneigte Zeitgeschmack wendete sich damit gegen ihn. Thomaskantor Karl Straube und der einflussreiche Hermann Grabner boykottierten Karg-Elert und seine als „undeutsch“ verunglimpfte Musik. Nach einer wenig erfolgreichen Amerika-Tournee verstarb Karg-Elert im April 1933. Sein Name fand sich später sogar in der ersten Auflage des berüchtigten Musikalischen Juden-ABC wieder. Schon 1982 wies Fred Prieberg in seinem Standardwerk Musik im NS-Staat auf diesen grotesken Irrtum hin. Die weitgehende Ausklammerung Karg-Elerts aus dem Musikleben wirkt bis heute nach, selbst die Orgelszene, Karg-Elerts eigentliche Domäne, wendet sich lieber den Zeitgenossen aus Frankreich zu.
Zu den wenigen Ausnahmen gehört Stefan Engels. Der Orgelprofessor an der Leipziger Musikhochschule wirkt auch mit an der vorliegenden CD, die einen guten Einblick in Karg-Elerts Ästhetik gibt, jedenfalls im Segment der Kirchenmusik, seit jeher weniger ein Experimentierfeld als ein Hort eher konservativer Formen und Klänge.
Die Einspielung präsentiert insgesamt neun Werke für Chor und Orgel, meist tritt eine Violine hinzu, auch andere Instrumente wie Oboe, Klarinette, Harfe und Flöte. Der Chor fächert sich in bis zu zwölf Stimmen auf. Auch hier sorgen verschiedene Soli für Abwechslung. Dadurch gewinnen Stücke wie die 12-minütige mehrstrophige Kanzone Vom Himmel hoch an Vielfalt und Reiz. Karg-Elerts Musik wirkt stets getragen, feierlich bis sentimental. Der Vokalsatz verrät die Kenntnisse des Komponisten bezüglich älterer Musik (das Benedictus op. 82 Nr. 1 etwa weist via Bruckner zurück auf das Palestrina-Verständnis des 19. Jahrhunderts). Andere Sätze lassen schon die Würze erahnen, mit der Komponisten aus Skandinavien oder England, in Nachfolge der Willcocks-Schule, heute die Chöre begeistern – etwa das völlig untraurige, süffige Requiem aeternam op. 109. Die Orgel kann dagegen mit vielen Farben prunken – eine Stärke der damals gebräuchlichen Instrumente.
Leider fehlt es den Interpretationen (die Orgel ausgenommen) immer wieder an professioneller Kompetenz: Die gefährlich vibratofrei singenden Chöre und Soli intonieren zu oft am Rande der Sauberkeit und Homogenität, auch die Soloinstrumente brauchen den Hall, den die Technik großzügig spendiert. Damit wird ein pauschaler Eindruck von der Musik Karg-Elerts verstärkt, den zu korrigieren eigentlich Anlass dieses Gedenkens an den 75. Todestag eines unzeitgemäßen Komponisten sein müsste.
Andreas Bomba