Heidenreich, Elke / Christian Schuller

Das geheime Königreich

Oper für Kinder, mit Fotos von Klaus Lefebvre

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Kiepenheuer & Witsch, Köln 2007
erschienen in: das Orchester 01/2008 , Seite 58

Mittendrin möchte man sein in diesen fantasievoll-starken Szenen – oder vielleicht manchmal lieber von hinten durch den Vorhang äugen, wenn allzu drastisch das Messer gewetzt wird! Die Fotos von Klaus Lefebvre nehmen vom ersten Blick an gefangen, verzaubern und machen Lust auf mehr. Immer mehr Oper! Seit elf Jahren leistet sich die Stadt Köln eine Kinderoper mit 130 Plätzen, die immer ausverkauft sind: Tendenz steigend. Christian Schuller, Oberspielleiter der Kölner Oper, hat inzwischen 20 Werke für Kinder auf die Bühne gebracht, 18 davon selbst inszeniert, an seiner Seite Elke Heidenreich, Literatin und beseelte Opernbesessene, die für die Texte verantwortlich zeichnet – auch auf der Bühne. Eine glückhafte Konjunktion!
Diese 20 Inszenierungen sind nun eingefangen zwischen zwei Buchdeckeln. Nicht eingezwängt oder getrocknet wie in einem Herbarium: Wenn man das Buch aufschlägt, entsteigen ihm frisch und lebendig, aber auch geheimnisvoll die fantasievollsten Figuren, die die Oper je gesehen hat. Da kann man mit den Pinguinen am Südpol zittern, sich vor Rotkäppchens Wolf graulen, dem Schmetterling nachhauchen und Seite für Seite den Traum Oper träumen. Sind Werke nicht speziell für Kinder geschrieben, wie es bei den Märchen aus Morgenland und Abendland der Fall ist, hat Elke Heidenreich für die Aufführungen die Texte eingerichtet, um sie verständlicher zu machen. Sie plädiert dennoch im Vorwort dafür, auch Unverständliches seine Wirkung tun zu lassen, zumal in synästhetischer Verbindung, und setzt auf das Geheimnis, das ein Kind in sich tragen kann und dessen Erklärung ihm viel später begegnen mag. Dann ist es längst eingedrungen in das geheime Königreich…
Die einleitenden informativ-lesefreundlichen Texte von Heidenreich zu den einzelnen Kapiteln richten sich in Länge und Ausführlichkeit nach dem Bekanntheitsgrad des jeweiligen Werks. Bis auf Die Feen von Richard Wagner sind nur Opern aus dem 20. und 21. Jahrhundert vertreten, denn man setzt zu Recht auf die Unvoreingenommenheit junger Rezipienten beim Hören Neuer Musik. Vom ersten Drittel des 20. Jahrhunderts, vertreten durch Strawinsky, Krenek, Wolf-Ferrari und anderen, wird der Bogen gespannt über Nino Rota (Aladdin), Robert Chauls (Alice im Wunderland) bis hin zu Marius Felix Lange, dessen Opernschiff, eine Uraufführung von 2005, den Ausblick auf Musik des neuen Jahrtausends gibt. „Kinderoper ist nicht Oper mit Kindern, sondern Oper für Kinder, Kinderoper ist nicht ,klein‘, sie ist nur im Sujet, in der Geschichte, die erzählt wird, dem Niveau der kindlichen Erfahrungswelt angepasst. Künstlerisch gibt es keine Abstriche oder Kompromisse, alles könnte auch so im großen Haus laufen. Denn ob Kinderoper oder große Oper – Oper ist und war immer die künstlerische Antwort auf unsere Fragen, Probleme und Hoffnungen. Glück und Sehnsucht nach mehr – das wollten wir in die Herzen der jungen Zuschauer und Zuhörer pflanzen.“ (Heidenreich) Das ist offenbar gelungen!
Wohnte ich in Köln, würde ich meinen Enkeln ein Abonnement für diese wunderhafte Einrichtung schenken. Mir auch. Wir wohnen aber in Hannover und müssen uns mit diesem hinreißenden Buch „begnügen“.
Bärbel Becker