Szeskus, Reinhard
Das Deutsche Volkslied
Geschichte, Hintergründe, Wirkung
Reinhard Szeskus, Jahrgang 1935 und Musikprofessor, hat sich eine wahrhaft große und anspruchsvolle Aufgabe gestellt. Auf 318 Seiten stellt er deutsche Volkslieder, ihr historisches Umfeld, Texter, Komponisten und wichtige Sammler vor, lotet in Einschüben einzelne Aspekte (z.B. Merkmale des älteren deutschen Volksliedes) tiefer aus, befasst sich insbesondere mit wichtigen Persönlichkeiten des 19. Jahrhunderts und erörtert Wirken und Wirkung der musikalischen Jugendbewegung bis in die Zeit des Nationalsozialismus.
Szeskus versteht es, die ungeheure Fülle an Fakten, die vielen Hinweise und historischen Querbezüge durch die Gliederung in relativ kurze Kapitel und durch eine Fülle an Text- und Notenbeispielen sowie durch informative Schwarz-weiß-Abbildungen leserfreundlich zu bändigen. Hinzu kommt die klare Sprache, die deutlich macht, dass hier ein Autor am Werk ist, der es nicht nötig hat, seine herausragende fachliche Kompetenz durch fachsprachliches Imponiergehabe zu unterstreichen.
Szeskus geht historisch vor, er erörtert kurz das karge Wissen über die Musik der Germanen, wendet sich dann dem Kinderlied als Träger von Mythen mit germanischen Wurzeln und dem Kirchenlied im Verhältnis zum Volksgesang zu. Die folgenden Kapitel befassen sich mit den alten Balladen und verschiedenen Liedgattungen. Neun handschriftliche Liedsammlungen werden vorgestellt. Es folgen Einzeldarstellungen von Komponisten und schließlich die Jugendbewegung und ihr Verhältnis zu Rundfunk, Schule und Neuer Musik, um die Jugendbünde, die Arbeiterjugend und den Nationalsozialismus. Im Anhang finden sich eine Sammlung vom Autor ausgewählter Volkslieder, ein ausführliches Literaturverzeichnis, ein Personenregister und ein Verzeichnis aller im Buch erwähnter Lieder, welche den Gebrauchswert der Veröffentlichung noch steigern.
Um sich einer so großen Aufgabe stellen zu können und sie wie der Autor zu meistern, bedarf es einer starken Motivation. Szeskus Motivation ist eine zweifache: Zum einen geht es ihm um den Erhalt dessen, was er als Grundlage unserer musikalischen Kultur erkennt, ohne die das Werk eines Mozart, Haydn oder Bach nicht denkbar wäre. Zum anderen argumentiert er pädagogisch, wenn er das Verschwinden des Volkslieds und damit unserer nationalen Musikkultur aus den Familien beklagt:
das Volkslied als Gradmesser für das Alltagsleben des deutschen Volkes in der Vergangenheit. Es zu kennen ist eine Voraussetzung für die Wertschätzung unserer Nachbarvölker in europäischen Raum. Je mehr wir unser Volkslied besitzen und singen, desto besser vermögen wir das Liedgut unserer Nachbarn zu achten.
Szeskus ist in einem positiven Sinne ein Konservativer, der mit seinem Buch gegen die Verflachung in den Medien, gegen die Dominanz des schnelllebigen Rock- und Popmusikmarkts anschreibt. Mag er auch hier und da irren, so hat er doch Recht damit, dass dem Volkslied seit einigen Jahrzehnten in Schule und Hochschule zu wenig Raum gegeben wird. Das Buch kann hier einen wichtigen Beitrag zur Abhilfe leisten und eine hilfreiche Informationsquelle für jeden Musiklehrer sein. Ein sorgfältig ediertes, wunderbares Lese- und Musizierbuch ist es allemal.
Wolfgang Koperski