Rojas, Alejandra

Dantes Geige

Roman

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Deutsche Verlagsanstalt, München 2008
erschienen in: das Orchester 07-08/2008 , Seite 63

„Conde Fosca faciebat anno 1729. Eine Geige, die nüchtern ist wie kaum eine andere, streng und unerbittlich. Ein Instrument für einen Mann, den das Leid geprägt hatte.“ Das solcherart beschriebene Instrument bildet das magische Zentrum des Romans Dantes Geige der chilenischen Autorin Alejandra Rojas. Um die Stradivari-Geige, die in einer Vitrine im Museum des Dorfes Tejas Rojas schlummert und der größte Stolz der Einwohner ist, entsteht ein gewaltiger Aufruhr. Sie wird gestohlen und teilt damit das Schicksal vieler berühmter Instrumente aus der Werkstatt großer Meister.
Vier Personen im Dorf, die jeweils ein eigenes Interesse an dem kostbaren Instrument haben, kommen sich durch den Raub näher. Der alte Muencke, ein schlitzohriger Antiquitätenhändler, der immer davon geträumt hat, Virtuose zu werden, es aber nur heimlich karaokegeigend zu etwas gebracht hat, die junge, einfältige Krankenschwester Mireya, die als Pflegerin bei ihm lebt, Emilio Rastelli, Privatdetektiv aus Buenos Aires, der im Dorf ermittelt, und Amador Román, ein dicker, bleicher und belesener Apotheker, der in Mireya verliebt ist, die wiederum für Rastelli entflammt ist. Román arbeitet an einem Roman über die Conde Fosca, was wiederum Detektiv Rastelli besonders interessiert.
Auf zwei Ebenen umkreist Rojas in ihrem Roman die Geige: auf der ersten Ebene des Romans, auf der die Ermittlungen nach dem kostbaren Instrument aufgenommen werden und die genannten Personen argwöhnisch umeinander herumschleichen und den vermeintlichen Geheimnissen der jeweils anderen nicht nur in Bezug auf die Geige auf die Spur zu kommen trachten. Auf der zweiten Ebene der Romans, im Roman des Apothekers über jene verschollene Geige, hören wir Stradivari selbst, der die Entstehungsgeschichte des Instruments und der Wirrnisse, in die es gerät, aus der Jenseitsperspektive des Purgatoriums erzählt.
Dantes Geige ist ein handwerklich trickreicher Roman, der nicht nur mit einer Überfülle an historischen Fakten und chilenischer Kultur aufwartet. So unterhaltsam wie wortgewandt wiederholt der Roman das Vexierspiel, dem die Protagonisten ausgesetzt sind, auch mit seinen Lesern. Denn das, was innerhalb von Románs Stradivari-Roman-Kapiteln mit dem Anspruch auf Authentizität geschildert wird, gibt sich von vornherein als Fiktion einer fiktionalen Romanperson zu erkennen, ist also doppelt-doppelter Boden und demzufolge besonders trügerisch.
Rojas’ erzählerischen Kniffe mindern nicht das Lesevergnügen, das sich zu einem weiteren guten Teil der lebendigen Zeichnung der Figuren verdankt, die allesamt etwas spleenig sind und gerade darum liebenswert und erfreulich unausgedacht wirken. Dass der Zauber, dem die Figuren erliegen, dabei ausgerechnet von einem Instrument ausgeht, das beim Spielen „scheußlicher als eine Obststeige“ klingt, zeigt, wie sehr der Wert eines Gegenstandes von den Zuschreibungen abhängt, die ihm anhaften. Wie die Legendenbildung vonstatten geht und dass sie nicht nur bei kostbaren Instrumenten funktioniert, führt Dantes Geige, abgesehen von einigen Längen, leichtfüßig und amüsant vor Augen. Wer intelligente Leseunterhaltung schätzt und schöne Instrumente liebt, wird hier fündig werden.
Beate Tröger

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