Holliger, Heinz

Cynddaredd – Brenddwyd

für Horn solo

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Schott, Mainz 2005
erschienen in: das Orchester 05/2006 , Seite 79

Aus dem Concerto con soli per tutti für Orchester (2000/01) des Schweizer Oboisten und Komponisten Heinz Holliger ist das 2004 revidierte Werk Cynddaredd – Brenddwyd nun als Solowerk für Horn erschienen. Der gälische Titel verrät eine große thematische Spannbreite: „Wut – Traum“. Dieses Charakterstück, der Form nach ein freies Rezitativ, wurde dem englischen Hornisten Jonathan Williams, Hornist beim BBC Symphony Orchestra und Chamber Orchestra of Europe, gewidmet und hat eine Aufführungsdauer von etwa sechs Minuten.
Alle technischen Raffinessen des modernen Hornspiels sind in diesem kurzen, aber sehr anspruchsvollen Werk ausgelotet. Eigentlich sucht man vergebens nach einer Stelle, bei der keine Sondereffekte vorkommen. Gleich zu Anfang wird zwischen Gestopft, Halbgestopft und Offenblasen getrillert, mit und ohne Flatterzunge und mit extremen dynamischen Unterschieden. Auch Tempo und Tonumfang bewegen sich im extremen Bereich. Halb gedrückte Ventile mit Glissandi oder Singstimme während des Blasens sind ebenso Bestandteile.
Der Komponist zeigt viel Fachkenntnis von den Spielmöglichkeiten des Horns. Die Bezeichnungen „in E“ oder „in D“ deuten auf bestimmte Ventilkombinationen hin. Sie sind beim Spielen eines bestimmten Tons oder einer Tonfolge vonnöten, damit die entsprechenden Obertöne erzeugt werden können. So erfordert der Hinweis „in D“ die Ventilkombination 1-2 auf dem F-Horn (klingendes D-Horn anderthalb Töne tiefer). „In G“ wäre die gleiche Ventilkombination verlangt, aber auf dem B-Horn. Als Hilfe sind im Notentext die Nummern der Naturtöne angegeben. Man braucht ein Doppelhorn und eine ausgereifte Instrumentaltechnik, um das Werk aufzuführen.
Für die gleichzeitig geblasenen und gesungenen Stellen sind auch alternative Noten für Frauenstimmen abgedruckt, um den Gesang der weiblichen Stimmlage anzupassen. Kurz vor Schluss wird prägnant und rhythmisch auf dem Schallstück geklopft, bevor das Stück auf einem langsam nach oben steigenden Ton mit einem halb gedrückten Ventil ausklingt.
Die Frage bleibt offen, ob das Stück für sich alleine stehen kann, wenn es aus dem Zusammenhang als Orchesterstück herausgenommen wird. Als technische Studie mit sicherlich pädagogischem Wert ist darin vielleicht wenig musikalischer Sinn spürbar. Die Antwort hängt sowohl vom Interpreten als auch von der offenen, wohlwollenden Akzeptanz der Zuhörer ab. Wegen seiner umfassenden technischen Vielfalt ist das Stück als moderner Beitrag bei einem Solo-Abend oder Examensvortrag gut vorstellbar.
Thomas Swartman