Mozart, Wolfgang Amadeus
Così fan tutte
2 Faksimilebände und ein Kommentarband
Diese prachtvolle, vom Packard Humanities Institute in Verbindung mit der Internationalen Stiftung Mozarteum besorgte Ausgabe, die vierte von sieben zur Publikation vorgesehenen Mozart-Opern, ist ein Geschenk an die Musikwelt. Mozarts Autograf, heute auf verschiedene Standorte verteilt, ist in der vorzüglichen Reproduktion in Originalgröße zusammengeführt. Man braucht nicht lange hineinzuschauen, um die Passion von Autografensammlern zu verstehen, und man wird von eingehender Lektüre kaum mehr loskommen. Nicht nur wird man schnell ins Detail geraten, Mozarts Feder alsbald laufen sehen, zuweilen in Geschwindigkeiten, die sich denen der Musik nähern; man wird darüber hinaus ein Stück Entstehungsprozess verfolgen können. Unterschiedliche Helligkeitsgrade der Tinten, meistens zwei, manchmal drei auf einer Seite, und verschiedene Federn lassen oft recht sicher die Abfolge der Arbeitsgänge erkennen zuerst die jeweils führende, meist die Oberstimme, dann der Bass, zuletzt die Mittelstimmen. Das bedeutet, dass Mozart in der letztgültigen Ausfertigung etliches zuletzt Geschriebene überhaupt erstmals fixierte. Derlei Sicherheit wie selten sind Korrekturen! bleibt auch dann mirakulös, wenn man sich vergegenwärtigt, dass sich bestimmte Ergänzungen, Ausfüllungen nach satztechnischen Regeln damals halbwegs selbsttätig ergaben; nur sind es bei Mozart kaum je Ausfüllungen.
John A. Rice sorgt für Leseanweisungen. Gäbe es nicht Vorarbeiten wie z.B. Ulrich Konrads Untersuchung des Kanons im zweiten Finale, wäre es unbillig, mehr Detaillierung einzuklagen. Ein Kompendium zur Così konnte nicht die Aufgabe dieser Publikation sein, davon abgesehen, dass die umfangreiche, größerenteils vorzügliche Sekundärliteratur zusammenzufassen ohnehin unmöglich ist. Umso größer der Glücksfall des Einleitungskapitels von Norbert Miller, welches wichtige Informationen und Einsichten stoff- und sprachgeschichtliche ebenso wie solche zu lange fortgeschriebenen Übersetzungsfehlern oder zum Austausch der Guglielmo-Arie im ersten Akt kenntnisreich, souverän und elegant zusammenbringt. In den deutenden Passagen bleibt der Beitrag von Rice hier weit zurück; Abstimmung bzw. eine koordinierende Gesamtredaktion hat es wohl nicht gegeben andernfalls wären Platitüden nicht stehengeblieben wie die, dass Fiordiligi und Ferrando im Schluss-Andante des zweiten Finales selig den sexuellen Vollzug vorausempfinden. Anstatt mancher Verdoppelung und angesichts nun möglicher genauer Einsichtnahme in die paläografischen Befunde wäre vielleicht Platz gewesen, über eine weitere, nicht mehr vorhandene Guglielmo-Arie zu reflektieren oder nach Spuren einer möglicherweise geplanten Aufteilung des ersten Akts in zwei Akte zu suchen.
Der dritte Band enthält zudem Faksimile-Reproduktionen des Librettos der Uraufführung, der überlieferten Skizzen, die nicht von Mozarts Hand erhaltenen, vom Kopisten Sukowaty geschriebenen Teile der Partitur sowie Informationen zu Papiersorten bzw. Wasserzeichen, Lagenheftung usw. denkbar nahe und instruktiv an das Autograf heranführend. Nochmals: ein Geschenk so kostbar, dass man wünscht, es gäbe Anlass zu mancher so dringlichen Besinnung auf die Integrität großer Werke.
Peter Gülke