Werke von Dmitry S. Bortniansky und Alfred Schnittke

Confessions of Faith / Glaubensbekenntnisse

MDR Rundfunkchor, Ltg. Risto Joost

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Genuin GEN 17450
erschienen in: das Orchester 07-08/2017 , Seite 67

„Diese Lieder, deren Verse von schwarzer Trauer bis zum Rand gefüllt, dichtete ich, der ich um die menschlichen Leidenschaften weiß, da ich die meinen kenne und bewerte. Ich schrieb sie, damit sie die Christen in allen Teilen der Welt erreichen.“ Dieses Bekenntnis ist Teil der Klagelieder, die der armenische Mönch und Mystiker Gregor von Narek in der zweiten Hälfte des 10. Jahrhunderts verfasste. Seine Verse zielen auf die Verschmelzung mit Gott, poetisches Mittel ist eine Anhäufung von synonymen Phrasen und damit eine beinah unendliche Nuancierung. Den „Herrscher allen lebendigen Seins“ beschreibt er als „unerkannt, allwissend und schrecklich, barmherzig und erbarmungslos, unsagbar und unbegreifbar, unsichtbar, unvergänglich und grenzenlos, Angst erregend und Gutes bringend“. Mit dieser Kunst der auf die Verschmelzung mit Gott ré Marcel, „die riesige Leere zwischen zwei Worten schließen“. 2015 wurde Gregor von Narek zum 36. Kirchenlehrer der katholischen Kirche ernannt und gehört damit in eine Reihe mit Augustinus und Thomas von Aquin.
1984 vertonte Alfred Schnittke das Buch der Klagelieder für gemischten Chor, nannte es schlicht Konzert für Chor und wählte dafür ähnlich suggestive Mittel: überwältigende Klangpracht, archaisch wirkende Einfachheit, Wechsel von Chor und Solostimmen, Ostinatobildungen. Schnittke hat für sich, nach Gehversuchen in diversen Schreibarten, ein polystilistisches Komponieren mit vielerlei Traditionsbezügen als Ausdrucksform gefunden. Im Konzert für Chor ordnet sich das einer meditativen Grundhaltung unter. Die Musik rührt an Tiefenschichten des religiösen Empfindens: Hingabe, Bescheidenheit, aber auch Inbrunst und spirituelle Begeisterung. Polystilistik äußert sich hier nicht als ironisches Spiel, sondern als Verneigung vor einer großen Tradition. Da enden gewaltige Steigerungen à la Bruckner in typischen Kadenzbildungen aus der Renaissance oder dem russischen Kirchengesang des 19. Jahrhunderts. Schnittke entwickelt die Musik vor allem aus der Deklamation heraus. Minutenlang wird manchmal – ganz der litaneiartigen Struktur des Textes gemäß – ein einfacher Rhythmus wiederholt, zu überwältigenden Steigerungen und harmonischen Verdichtungen geführt, schließlich von melismatischen Linien der Solosopranstimmen „gekrönt“.
Manche Wendung lässt auch an die Tonsprache eines Dmitry Bortniansky denken, den Zeitgenossen den „russischen Mozart“ nannten und der ein Schüler von Baldassare Galuppi war. Seine Musik verbindet den „weiträumigen, östlichen Chorklang mit westlicher Seufzermelodik und fugierten Partien“, wie Harald Hodeige im Begleitheft schreibt.
Der MDR Rundfunkchor unter seinem künstlerischen Leiter Risto Joost besticht in diesen Aufnahmen durch einen makellosen Klang, der auf satten Tiefen ruht und bis in atemberaubende Höhen strahlt. Das Ensemble singt mit großartiger Ruhe, badet aber nicht im Pathos und beherrscht offenbar auch die russische Diktion bis in Feinheiten hinein. Die CD belegt, dass er den International Classical Music Award 2017 in der Sparte Chormusik zu Recht erhalten hat.
Mathias Nofze