Conciertos festivos para guitarra y orquesta
Werke von Carlos Alberto Vázquez, Ernesto Cordero, Alfredo Rugeles, Diana Arismendi
Musikalische Früherziehung als Waffe im Kampf gegen Verelendung der Jugend? In Venezuela praktiziert man dies mit großem Erfolg und demonstriert den Herkunftsländern der klassischen Konzertkultur, wie Bildungspolitik funktionieren könnte. Der Staat hat dort die Möglichkeiten der Musik erkannt Identität zu stiften und fördert über die Fundación del Estado para el Sistema Nacional de las Orquestas Juveniles e Infantiles de Venezuela den künstlerischen Nachwuchs in den sozial benachteiligten Bevölkerungsschichten. Etwa 15000 Musiklehrer unterweisen ungefähr 240000 junge Leute, von denen viele eine schreckliche Vergangenheit als Straßenkinder haben. Aus der Breitenarbeit ist ein Spitzenorchester hervorgewachsen: die Formation Sinfónica de la Juventud Venezolana Simón Bolívar, die inzwischen auch bei Auftritten in Europa und mit ihrer CD-Einspielung zweier Beethoven-Symphonien unter Leitung des von Sir Simon Rattle geförderten Dirigenten-Nachwuchs-Stars Gustavo Dudamel Aufsehen erregt und viel Anerkennung gefunden hat.
Auf der vorliegenden CD präsentieren sich die jungen venezolanischen Musiker unter Leitung des Dirigenten und Komponisten Alfredo Rugeles mit einem rein mittel- und südamerikanischen Programm. Zusammen mit dem renommierten argentinischen Gitarristen Victor Pellegrini sorgen sie für eine beherzte Interpretation zweier jeweils 2005 entstandener Conciertos festivos puertoricanischer Komponisten, in denen sich die populäre Musik Lateinamerikas widerspiegelt. Dennoch zeigen die beiden Werke eine sehr individuelle Handschrift: Ist Ernesto Corderos Musik direkt vom Geist und den Rhythmen der Folklore inspiriert, so greift Carlos Alberto Vázquez deren Tonfälle zwar auf, doch in raffinierten Brechungen. Nicht naiv, sondern sophisticated wirkt seine Komposition und zeigt für ein festliches Konzert bemerkenswert nachdenkliche und sinistre Züge.
Zu den Schwächen der CD-Neuveröffentlichung gehört das Booklet, das den des Spanischen unkundigen Hörer inhaltlich weitgehend im Stich lässt, was die weiteren eingespielten Kompositionen betrifft. Das ist bei den beiden Escenas de la Pasíon según San Marcos noch verschmerzbar, in denen die venezolanische Komponistin Diana Arismendi in eigenwilliger Verbindung von liturgischer Zurückhaltung und dramatischem Impetus eine farbig orchestrierte Passionsmusik geschaffen hat. Im Fall der 1982 entstandenen Komposition El ocaso del héroe für Sprecher, gemischten Chor und Kammerorchester ihres Landsmanns Alfredo Rugeles wäre wenigstens eine Inhaltsangabe, besser noch eine ausführliche Textdokumentation geboten gewesen. Hochpassioniert wirkt die Komposition, in der der Sprecher das Wort libertad herausstellt, sodass der Hörer einen historischen oder politischen Hintergrund vermutet und damit letztlich auch recht hat: In Wort und Ton geschildert werden die letzten Tage des venezolanischen Freiheitshelden Simón Bolivár.
Gerhard Dietel