Wagner, Siegfried

Concertstück

für Flöte und Klavier

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Zimmermann, Frankfurt/Main 2004
erschienen in: das Orchester 03/2005 , Seite 76

Diese Komposition Siegfried Wagners aus seiner Schaffensmitte trägt als Datum der Vollendung den 17. Oktober 1913 und die Bezeichnung „herzig, aber schlampet korrigiert!“ (Peter P. Pachl: Siegfried Wagner, München 1988). Wagners Neffe und Ziehsohn Gilbert, ein begabter Flötenspieler, hatte ihn gelegentlich um ein Konzert gebeten. Die Komposition wurde dann auch eine Art Porträt des jungen Mannes und darüber hinaus, wie der Herausgeber Mehring treffend formuliert, eine Art „Scherzo über die Flöte und ihre SpielerInnen“. Das Concertstück für Flöte und kleines Orchester (doppeltes Holz, vier Hörner, Streicher und Pauke) wurde noch im gleichen Jahr im Bayreuther Verlag Carl Giessel verlegt, die Uraufführung mit dem Solisten Gilbert Gravina fand am 3. Februar 1914 in der Hamburger Musikhalle statt.
Siegfried Wagner (1869-1930), der einzige Sohn von Richard und Cosima Wagner, schwankte anfangs zwischen Architektur und Musik, stand im Zwiespalt zwischen vielfältiger Begabung und dem Anspruch des Vaters, doch schließlich gewann die Musik die Oberhand und er begann zu komponieren und zu dirigieren, dies – wie Hans von Bülow – immer auswendig. Seit 1894 dirigierte er in Bayreuth, 1896 zum ersten Mal den Ring und seit 1908 übernahm er die Gesamtleitung der Festspiele. Sein kompositorisches Hauptgebiet war das musikdramatische Schaffen, für welches er – wie sein Vater – die Texte selbst dichtete. Weniger zur Geltung kam sein rein instrumentales Komponieren, dazu blieb seine einzige Sinfonie leider zu Lebzeiten unaufgeführt, war sie doch ein Beweis seines – auch vom aufkommenden Deutsch-Nationalismus der Wagnerianer – unabhängigen Denkens.
Den Neffen Gilbert Graf Gravina hat Wagner übrigens auch in der Person des ständig verliebten Reinhold in seinem Bühnenwerk Der Friedensengel porträtiert, Themen daraus sowie aus dem Herzog Wildfang wurden im Concertstück wirkungsvoll verarbeitet.
Ganz ohne Kadenz und virtuoses Beiwerk beweist Wagner, wie exzellent er die Flöte kennt. Es darf vermutet werden, dass es sich dabei eher um eine Reformflöte Schwedler’schen Typs als um eine Böhmflöte handelte, weil die tiefe Lage unterhalb as1 gänzlich fehlt. Die Flöte darf sich ihrer Natur gemäß aussingen, ihr sanguinisches Temperament koboldhaft in höchsten Tönen sprühen lassen, immer im aktiven Dialog mit dem Orchester, in motivischer und rhythmischer, an Bach geschulter Kontrapunktik und im ständigen Wechsel der Klangfarben und Stimmungen. Die zu Beginn des Stücks ausgesparte Grundtonart F-Dur erscheint erst ziemlich spät in einem gesanglichen „zweiten“ Thema, dafür verharrt der immer ruhiger werdende bukolische Schluss umso länger darin.
Das der Concertinoform entsprechend einsätzige Stück ist in sich dreiteilig, ein im 3/4-Takt vorwiegend auf Dominante und Tonika „stehender“ Mittelteil verbindet die harmonisch bewegten, im 6/8-Takt stehenden äußeren Abschnitte. Das Tempo wird in beiden Ausgaben mit 120 für die punktierten Viertel angegeben. Das ist zu schnell und daher im Sinne einer musikalischen Charakterisierung zu verstehen, es muss so schnell und leicht wie möglich gehen.
Für die Neuausgabe dieser in jeder Hinsicht höchst erfreulichen Wiederentdeckung und Bereicherung des Flötenrepertoires wurde der Text neu gesetzt, leider zum Nachteil gegenüber der Ausgabe von 1913. Durch allzu großen und großzügigen Druck wurden aus den 18 Seiten der Klavierstimme 30, die Flötenstimme, die in der alten Ausgabe auf sieben Seiten gute Wendestellen bot, verlangt hier bei neun Seiten akrobatisches Wenden oder Kopieren. Das Aufblähen der Klavierstimme ist das Resultat ausgeschriebener Abbreviaturen und Triller, eine Entscheidung, die dem lebhaften Geist des Stücks völlig widerspricht und eine Analyse entsprechend erschwert. Die vom Komponisten als „schlampet“ titulierte Ausgabe hatte immerhin Studierziffern und für die Realisierung des Klavierparts wichtige Instrumentierungsangaben (Oboen, Klarinetten, Hörner), aber kaum sonstige Fehler, während die Neueinrichtung trotz dankenswerterweise hinzugefügter Taktzahlen einiges an fehlenden oder abweichenden Bogensetzungen, fehlenden Sicherheitsakzidentien, falschen Balkungen und Punktierungen anzubieten hat.
Schade, der vom Komponisten autorisierte Erstdruck hätte sich geradezu als Reprint angeboten, zumindest aber hätte man bei der Neufassung näher an der Giessel-Ausgabe bleiben sollen. Ganz sicher wird diese Neuausgabe aber trotzdem dazu beitragen, dass das Stück den ihm gebührenden Platz erhält; sie ist auf schönem, gelblich getöntem Papier gedruckt und mit einem informativen, dreisprachigen Vorwort versehen. Wer sich für das Werk Siegfried Wagners interessiert, sollte im Internet die Seite der Internationalen Siegfried-Wagner-Gesellschaft aufsuchen, die auch ein umfangreiches Tonträger-Archiv enthält (www.siegfried-wagner.org).
Ursula Pesek