Maurice Ravel
Concerto für Klavier und Orchester
Urtext, hg. von Douglas Woodfull-Harris, Klavierauszug/Partitur
Seitdem in den vergangenen Jahren eine Reihe von großen Komponisten aus Impressionismus und früher Moderne urheberrechtefrei geworden sind, haben sich erfreulicherweise die großen Musikverlage daran gemacht, nach und nach einige der Hauptwerke von Ravel, Bartók und anderen in Urtextausgaben vorzulegen. Auch wenn die Komponisten in der Regel die bisherigen Druckausgaben korrigierend begleitet hatten, so sind diese Ausgaben doch weit entfernt von den Standards heutiger Kritischer Urtexteditionen, die in der Regel auf eine breitere Quellengrundlage zurückgreifen.
Nahezu zeitgleich haben sowohl Henle als auch Bärenreiter eine Edition des Ravel’schen G-Dur-Klavierkonzerts, eines der großen vielgespielten Standardwerke dieser Gattung, vorgelegt. Bärenreiter bietet neben dem Klavierauszug auch das vollständige Orchestermaterial an: Partitur im lesefreundlichen Großformat sowie Orchesterstimmen. Der unbestreitbare Vorteil ist, dass Solist:in und Orchester damit gleiches, übereinstimmendes Material zur Verfügung haben.
Der Herausgeber Douglas Woodfull-Harris beschreibt im Vorwort, das der Klavier- und der Partiturausgabe gleichermaßen dreisprachig (englisch, französisch und deutsch) vorangestellt ist, ausführlich die Entstehungsgeschichte, die frühe Aufführungs- und Rezeptionsgeschichte sowie die kurz nach der Uraufführung erfolgte Aufnahme des Werks durch die Uraufführungssolistin Marguerite Long. Von großem Interesse dürften dabei die Beobachtungen zur Tempofrage sein. Der Kritische Bericht (englisch), nur der Partitur beigefügt, stellt ausführlich die äußerst breite Quellenbasis, auf der die Ausgabe basiert, und die Herausgeberentscheidungen dar. Wer für Bärenreiter den Klavierauszug erstellt hat, bleibt (wenn der Rezensent es nicht übersehen haben sollte) indes ungenannt, vermutlich stammt er vom Herausgeber.
Die Neuausgabe besitzt – neben einem großzügigen und gut lesbaren Stichbild – also alle Vorzüge, die man von einer Bärenreiter-Urtextedition gewohnt sein darf. Ob man als Solist:in sich für Bärenreiter oder Henle entscheidet, wird vielleicht nur davon abhängen, ob man die bei Henle üblichen Herausgeberfingersätze (immerhin von Pascal Rogé) in das Werkstudium einbeziehen möchte, außerdem werden dort einige Textvarianten nach der erwähnten Long-Aufnahme mitgeteilt. Ein detaillierter Vergleich beider Ausgaben würde hier den Rahmen sprengen; ein Pluspunkt für Bärenreiter ist sicherlich, wie erwähnt, das parallel erschienene Orchestermaterial.
Christian Ubber