Gottfried von Einem
Concerto for Orchestra/Hunyady László/Nachstück/Serenade
Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin, Ltg. Johannes Kalitzke
Seine verdienstvolle Reihe bedeutender Orchestermusik des 20. Jahrhunderts setzt das Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin unter Johannes Kalitzkes Leitung mit vier Werken Gottfried von Einems aus vierzig Jahren fort.
Das Concerto für Orchester op. 4 (1944) vereint die besten Qualitäten echter Musizierlust – doch nicht ohne spitze Stachel, subversive Jazzanklänge und unverhohlen internationale Ausrichtung: Das ist ein Komponist, der sein Handwerk versteht, der Tiefe mit Brillanz verbinden kann.
Gleiche Qualitäten finden sich in der viersätzigen Serenade op. 10 (1949), durch Ferenc Fricsay aus der Taufe gehoben und diesem gewidmet. Einem hatte zu Lebzeiten viel Glück mit seinen Dirigenten, die sich stets voller Verve für seine Musik einsetzten und ihm so den Weg zu internationalem Renommee ebnen halfen.
Das Nachtstück op. 29 entstand 1960 in Zürich als Auftragskomposition des Philadelphia Orchestra unter Eugene Ormandy; von dem ersten Eindruck, wir hätten es hier mit einer verkappten Mahler-Kopie zu tun, sollte man sich nicht in die Irre führen lassen.
Die „3 Gaben für Orchester“ op. 59, Hunyady László, ein Kompositionsauftrag der Philharmonia Hungarica, verdanken ihre Sujetwahl 1981/2 einer Hommage an Einems natürlichen Vater (von dessen Existenz er vorgeblich erst während eines Verhörs durch die Gestapo erfahren haben soll). Einem legt hier ein gänzlich anderes Gewand an und adaptiert überzeugend einen „ungarischen Ton“, ohne seine eigene Klangsprache und auch die österreichische Musiktradition, in der er in den vergangenen Jahrzehnten verwurzelt war, zu verleugnen.
Das Berliner Rundfunk-Sinfonieorchester vermittelt Einems Traditionsverbundenheit wie seinen eigenen Ton höchst überzeugend. „Romantischer Naturton“ wird ebenso lebhaft vermittelt wie Jazz- und Tanzanklänge. Vor allem kommen auch die schroffen, sarkastischen, witzigen Aspekte der Musik nicht zu kurz. Auch die verhaltenen Momente – an Nachtstück lässt sich dies vergleichen – geraten zumeist eher nervös-angespannt als „loslassend“ elegisch, was eine legitime Lesart ist, die die gesamte CD zu einem aufregenden, in den „musikantischen“ Aspekten auch entspannenden und in der interpretatorischen Dichte nie nachlassenden Erlebnis macht. Die Aufnahmetechnik des Deutschlandfunks Kultur ist tadellos, das Booklet sehr informativ (nur die englische Übersetzung nicht rundum geglückt).
Es ist mehr als erfreulich, dass immer mehr Kompositionen Gottfried von Einems in mehr als einer Produktion vorliegen. Nun steht auch zu hoffen, dass dieser Impuls nicht nur auf seine Orchestermusik beschränkt bleibt, dass aber auch andere vernachlässigte und vielleicht heute noch weniger bekannte Komponisten von dem verstärkten Interesse an Musik des 20. Jahrhunderts profitieren.
Jürgen Schaarwächter