Concerti brillanti

Cellokonzerte von Carl Philipp Emanuel Bach, Friedrich Hartmann Graf, Johann Adolph Hasse und Johann Michael Haydn

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Sony/BMG 88697119972
erschienen in: das Orchester 03/2008 , Seite 62

Mit ermüdender Regelmäßigkeit liest man auch heute noch vom vermeintlich schmalen Cellorepertoire. Dass jedoch alleine im 18. Jahrhundert weit über 500 Cellokonzerte komponiert wurden, wird gerne vergessen. Wie sonst ist es zu erklären, dass erst vor wenigen Wochen eine CD mit Weltersteinspielungen von Cellokonzerten der Haydn-Zeitgenossen Friedrich Hartmann Graf, Johann Adolph Hasse und Johann Michael Haydn veröffentlicht wurde?
Bei Sony/BMG ist die CD erschienen, unter der Leitung von Reinhard Goebel begleitet das Münchener Kammerorchester (MKO) den Solisten Jan Vogler. Wahre Perlen sind dabei. So wartet das Cellokonzert D-Dur von Graf, der 1727 in eine mitteldeutsche Musikerdynastie hineingeboren wurde, mit unterhörten Klangeffekten auf: Im letzten Satz werden erstmalig künstliche Flageolett-Töne eingesetzt. Das Cellokonzert B-Dur von Haydns Bruder Johann Michael, bei dem die Autorenschaft nicht zweifelsfrei geklärt ist, besticht wiederum insbesondere im Kopfsatz mit Dur-Moll-Wechsel und kühner Chromatik. Dagegen ist das D-Dur-Konzert von Hasse noch dem italienischen Ideal verpflichtet. Kaum hat man den Startknopf des Abspielgeräts gedrückt, schon sprüht förmlich eine hin- und mitreißende Lebendigkeit aus den Lautsprechern.
Was diese Koproduktion mit dem Bayerischen Rundfunk, für die zudem das Cellokonzert A-Dur von Carl Philipp Emanuel Bach eingespielt wurde, so hörenswert macht, ist vor allem die vortreffliche Begleitung des MKO. Eine Klangkultur wird von dem Ensemble geboten, die von Verve und Esprit geradezu überschäumt. Mit unerhörter klanglicher Vielfalt und nuancenreichem Ausdruck lebt sich das Ensemble in die Partituren hinein. Mal satt und dicht im Ton, dann wieder in den langsamen Sätzen vibratolos in die Weite flehend – dem MKO gelingt ein höchst eigener Zugang in die Klangwelt des 18. Jahrhunderts. Zwar werden die Erkenntnisse der historischen Aufführungspraxis genutzt, jedoch nicht als Ultima Ratio verabsolutiert. Denn das authentisch Empfindsame bestimmt ebenfalls diese differenzierten Deutungen.
Eigentlich sind dies die besten Voraussetzungen für einen Solisten, doch bleibt Voglers Spiel leider mitunter recht nüchtern und sachlich. Dafür aber gelingen ihm in Carl Philipp Emanuel Bachs A-Dur-Konzert großartige Momente – vor allem, wenn Cello und Orchester im Mittelsatz äußerst durchdringend das einsame Lied hinaussingen: Dies ist fast schon nicht mehr von dieser Welt. So verdeutlicht diese CD einmal mehr, dass das MKO international zu den Spitzenensembles seines Fachs gehört. Zudem stellt das MKO mit diesen Wiederentdeckungen erneut seine innovative Programmatik unter Beweis, wofür es bereits mehrfach vom Deutschen Musikrat ausgezeichnet wurde.
Marco Frei