Scholl, Michael Gregor
Concert
für Violoncello und Kammerorchester
Vorbei die Zeiten, da Neue Musik als hermetischer Begriff die Gemüter beunruhigte und manch seltsame Elitenbildung bewirkte. Hinter Webern, so sprach einst Feuerkopf Stockhausen, dürfe niemand zurückfallen. Gewiss gibt es keinen Grund, eine solche Haltung nachträglich zu belächeln, entsprang sie doch dem legitimen Bedürfnis der Nachkriegsgeneration, ästhetisch denkbar avancierte Standpunkte einzunehmen, um jeder Verflachung des musikalischen Geschmacks und damit der Gefahr politischer Instrumentalisierung entgegenzuwirken. Dennoch war es, rückblickend betrachtet, wohl nur eine Frage der Zeit, bis junge Komponisten das Wagnis eingehen würden, Musik zu denken und zu schreiben, die zumindest die Chance birgt, wieder ein größeres Publikum zu erreichen, ohne sich deswegen am kleinsten gemeinsamen Nenner orientieren zu müssen.
So entstand seit den 1970er Jahren ein breites musikalisches Spektrum, geprägt von jener neuen, post-darmstädtischen Gestaltungsfreiheit. Die Kategorie des Fortschritts bis dahin wesentliches Moment linker Kulturkritik verlor an Glaubwürdigkeit, Modernität war keine greifbare Größe mehr. Dass sich in einer solchen Konstellation selbst das vertraute Modell der Progression eines Schülers über den Standort seines Lehrers hinaus ins Gegenteil verkehren kann, lässt sich an der Musik des 1964 geborenen Michael Gregor Scholl im Vergleich zu der seines 2003 verstorbenen Lehrers Bojidar Dimov ablesen. Stand der Wahlkölner Dimov auf dem Boden serieller und experimenteller Tendenzen, so pflegt Scholl eine demonstrative Romantik, eine von heftiger Sehnsucht nach dem romantischen Gestern geprägte Attitüde, die sich dem Leser der vorliegenden Partitur sogleich aus sprachlichen Anachronismen erschließt: Scholl wirkte, so das Vorwort, als Componist in Cöln, in seinem neuen Concert sind unter anderem Hoboen besetzt, und auch die Widmung an den Uraufführungssolisten gefällt sich in altertümelnder Diktion: Herrn Guido Schiefen in alter Freundschaft ergebenst zugeeignet.
Dem 2004 uraufgeführten Werk liegt eine schumanneske Formkonzeption zugrunde: Drei dem traditionellen Schnell-langsam-schnell-Schema entsprechende Sätze (Rasch, mit Feuer, Langsam, versunken, zart, Mäßig schnell, kantig heiter) gehen nicht nur ohne Pause ineinander über, sondern basieren auf einer gemeinsamen motivisch-thematischen Ur-Idee, die jeweils zu Beginn der Sätze vom Solocello vorgetragen wird. Die orchestrale Koloristik schlägt einen Bogen von der sparsamen Bläserbesetzung der Frühklassik zwei Oboen, zwei Hörner über ein gelegentlich romantisch aufgefächertes Streichorchester bis zum gemessen am sonstigen Rahmen umfangreichen Schlagzeug, das sehr raffiniert und an keiner Stelle um des Lärms willen eingesetzt wird. Die Bahnen der Funktionsharmonik nie verlassend, entwickelt das Werk eine kraftvolle, Dissonanzen keineswegs scheuende Sprache, und da der Solopart alles bietet, was Herz und Hände eines virtuosen Cellisten erfreut, spricht nichts gegen einen Erfolg des neuen Konzerts
wobei es gewiss lohnt, über den Faktor Ironie in der Musik Michael Gregor Scholls einmal gesondert nachzudenken.
Gerhard Anders