Kliegel, Maria

Concert Favourites

Die schönsten Konzert- und Zugabestücke für Violoncello, bearb. und hg. von Maria Kliegel

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Schott, Mainz 2013
erschienen in: das Orchester 11/2013 , Seite 73

Mit warmen Worten empfängt uns die Herausgeberin – „uns“, das ist die Spezies der sogenannten Cellofreunde, die von der Cellovirtuosin und renommierten Hochschullehrerin Maria Kliegel offenbar als eine besondere Gattung Mensch betrachtet wird: „Fühlt euch angesprochen, herausgefordert, inspiriert, zieht das Publikum in euren Bann und teilt mit ihm das Amüsement musikalischer ,Kleinkunst‘.“
Hier ist er wieder, jener quasi-familiäre Ton, der schon die Lektüre von Maria Kliegels 2006 erschienener Schott Master Class Cello (siehe das Orchester 5/07, S. 75) bisweilen anstrengend machte. Für den Inhalt ihrer aktuellen Publikation – eines Bandes mit Cello-Petitessen – wirbt sie mit Beschreibungen wie: „Eine Musik, die ins Herz trifft, Emotionen weckt, Ideen fliegen lässt und Alltagsschwierigkeiten […] für Momente vergessen lässt.“ Nun denn: Die Fähigkeit, ins Herz zu treffen und Emotionen zu wecken, möchten wir nicht allein der Gattung der musikalischen Miniatur zuerkennen. Und was soll uns die Anmerkung sagen, auf kleiner Bühne, „im intim geschlossenen Kreis von Komposition, Künstler und Publikum“ gelinge die Verbindung „natürlich immer dann besonders gut, wenn das richtige Repertoire zum richtigen Zeitpunkt mit richtiger Qualität“ gespielt werde? Diese Attitüde nervt! Hier wird inflationär mit Worthülsen geworfen, anstatt – wozu durchaus Anlass bestünde – beispielsweise anhand der charmanten Salon-Piècen des Cellisten David Popper darzustellen, was Stücke dieser Art auszeichnet: eingängige Melodik, daneben modulatorischer Reichtum, geschickte Setzweise des Klavierparts und ein treffsicheres Gespür für die kleine Form.
Maria Kliegels Kompendium der „schönsten Konzert- und Zugabestücke“ enthält eine Folge von Originalwerken und Bearbeitungen, deren Zusammenstellung durchaus nach dem Kontrastprinzip erfolgt ist: Kantables steht neben Virtuosem; Folkloristisches neben Liedhaftem. Im Einzelnen: Auf Glasunows Sérénade espagnole folgen sechs Stücke von Popper (L’andalouse, Gnomentanz, Chanson villageoise, Nocturne, Wie einst in schöner’n Tagen und Wiegenlied), die – anders als seine Etüden und Trapeznummern wie der Elfentanz – wenig bekannt sind und daher zu angenehmen Begegnungen einladen. Neben einer Barockadaption – einem Allegro von Senaillé – und Saint-Saëns’ Allegro appassionato (dessen Cellostimme manch editorisches, dem Urtext aufgestülptes Zuckerl aufweist) enthält der Band vier Bearbeitungen von Kliegels Hand, die einem Sammelband von 1913 entstammen könnten: ein Chopin-Nocturne, eine Melodie von Tschaikowsky, Debussys La fille aux cheveux de lin (das anno 1913 allerdings noch „neu“ war) und, man glaubt es kaum: Schuberts Leise flehen meine Lieder, ein heute nur mehr selten zu hörendes, mit hohem Kitschrisiko behaftetes Lied, das vor hundert Jahren freilich jeder höheren Tochter geläufig war.
Eine Anleihe an die Jugendsprache von 2013 sei in diesem Zusammenhang gestattet: Maria Kliegels Celloalbum ist „voll retro“!
Gerhard Anders