Laurusas, Vytautas

Concento di corde

für zwei Violoncelli

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Schott, Mainz 2005
erschienen in: das Orchester 05/2006 , Seite 81

Welch reiche Musiklandschaften die drei baltischen Republiken in sich bergen, erschließt sich erst allmählich. Viele talentierte Solisten, Dirigenten und Komponisten dürften die Jahre der Sowjetherrschaft als Periode erzwungenen Winterschlafs empfunden haben, in denen sich zwar möglicherweise hier und da etwas größere Entfaltungsspielräume ertasten ließen als im fernen Moskau. Freier Austausch mit Künstlern oder Ideen des Westens blieb indes für Jahrzehnte ein Wunschtraum.
Vielleicht lässt sich die Vita des litauischen Komponisten Vytautas Laurusas in diesem Sinne paradigmatisch deuten: Der 1930 Geborene schloss sein Studium in Vilnius 1956 ab. Von 1963 an wirkte er zunächst zwölf Jahre als Direktor des litauischen Opern- und Balletttheaters, anschließend acht Jahre als Vorsitzender des Komponistenverbandes und schließlich bis 1994 als Rektor der Litauischen Akademie für Musik. Seit 1974 unterrichtet er Komposition an diesem Institut. Offenbar ist es ihm in diesen Jahren gelungen, Tendenzen westlicher Avantgarde – Dodekafonie, Aleatorik, Minimalismus –, die unter dem Generalverdacht des Formalismus standen, in seine Sprache zu integrieren, ohne den Primat von Ausdruck, Emotionalität und Dramatik aufzukündigen.
Erst 1988, während der Perestroijka-Jahre, erreichte Laurusas’ Musik den Westen: Beim Festival sowjetischer Musik in Boston wurden seine Werke gefeiert und erzielten vielleicht ähnliche Wirkungen wie schon zuvor in Europa die Musik Schnittkes, Denissows und Gubaidulinas, die unser Verständnis musikalischer Avantgarde nachdrücklich verändert hat.
David Geringas, als Cellist und Pädagoge seit vielen Jahren hoch geschätzt, ist Widmungsträger des vorliegendes Werks. Nachdem er den ursprünglich für zwei Violen gesetzten Concento di corde kennen gelernt hatte, animierte Geringas seinen Landsmann Laurusas, eine Version für zwei Celli zu erstellen, die 2005 beim Kronberg Cello Festival von Geringas und Nicolas Altstaedt uraufgeführt wurde. Concento besteht aus zwei Sätzen: Im ersten Satz entfalten beide Instrumente eine dichte, durch Einbeziehung unterschiedlicher Techniken und Geräusche sehr klangfarbenreiche Struktur, die ein weites Spektrum von scheinbar beziehungslosem Monologisieren bis zu intensivem Dialog durchmisst. Die hier entstehende Spannung entlädt sich schließlich im zweiten Satz, dessen Presto-Passagen nachgerade exaltierte Virtuosität zur Schau stellen.
Die technischen Anforderungen sind denen der Cellowerke Sofia Gubaidulinas vergleichbar. Ähnlich wie dort gilt es auch hier, flexibel mit teils improvisierten, teils genau determinierten Reihungen von Patterns umzugehen. Concento di corde lohnt fraglos die Mühen des Übens. „Zum einen“, so merkt David Geringas an, „eröffnet der sonore Klang der tieferen Streichinstrumente dem Stück eine zusätzliche Dimension, zum anderen bereichert er das Duett-Repertoire für Violoncelli auf äußerst interessante und vielfältige Weise.“
Gerhard Anders