Con espressione
Werke von Tomaso Albinoni, Antonio Vivaldi, Alessandro Marcello, Gabriel Fauré, Jean-Baptiste Senaillé u. a.
Trompete und Orgel: zwei Stichworte, schnell eingegeben in die Internet-Suchmaske eines Schallplattenvertriebs und heraus quillt so viel Musik, dass man sich ohne Wiederholung damit zwei Wochen lang beschäftigen könnte: 136 CDs Trompete und Orgel. Und die jetzt vorliegende Aufnahme von Bernhard Kratzer und Paul Theis ist noch gar nicht dabei. Sicher: Die unüberschaubare Vielfalt gleichartiger oder ähnlicher CD-Angebote gehört in unsere Zeit wie ein Supermarktsortiment von 20 Waschmitteln. Dennoch muss die Frage nach dem Markencharakter einer Aufnahme erlaubt sein: Durch was will sie sich abheben? Bernhard Kratzer, Solotrompeter am Staatsorchester Stuttgart, und der Organist Paul Theis haben darauf keine rechte Antwort gefunden. Oder anders gesagt: Der Sinn ihrer CD mit barocker Trompetenmusik und zum Teil beliebigen Bearbeitungen aus mehreren Jahrhunderten ist die CD selbst eine Visitenkarte, deren Adressat nicht die anonyme Masse potenzieller Kunden ist, sondern vor allem ein Kreis von Freunden, Bekannten und Interessenten aus der Region der Interpreten.
Der Titel con espressione sagt zwar nicht viel aus, beim Hören erweist sich aber, dass er zu Bernhard Kratzers weichem, flexiblem Trompetenton und seinen klugen Phrasierungen passt. Kratzer ist kein Vertreter der Höher-Schneller-Lauter-Fraktion, sondern liebt offenbar langsame, schwebende Sätze wie Mozarts Ave Verum Corpus oder Faurés Pie Jesu aus dem Requiem. Was nichts daran ändert, dass gerade diese Bearbeitungen (und vor allem die Sopranarie Er weidet seine Herde aus Händels Messias) auf einem sehr schmalen Grat zwischen Kontemplation und Süßlichkeit balancieren. Dass sie nur selten abrutschen, ist nicht zuletzt den raffiniert eingerichteten Orgelsätzen von Paul Theis zu verdanken. Der liefert mit einigen Orgelwerken auch eine Bereicherung des Repertoires, die die CD sonst nicht bietet: Der Boléro de Concert von Louis
James A. Lefébure-Wély (1817-1869) und Vincenzo Antonio Petralis (1832-1889) musikantische Versetti per il Gloria vereinen profanen und sakralen Geist auf höchst unterhaltsame Weise. Die für Trompete bearbeiteten Oboenkonzerte von Alessandro Marcello und Vincenzo Bellini aber hinterlassen Fragen. Denn bei aller subtilen Virtuosität von Bernhard Kratzer wirkt ihre Umsetzung manchmal doch wie Kraftmeierei.
Johannes Killyen