Maderna, Bruno
Complete Works for Orchestra, Vol. 3
Er war der große Melodiker unter den Avantgardisten der Nachkriegsgeneration. Für den Venezianer Bruno Maderna war die Melodie zentrales Element seiner Kompositionen und bestimmte die übrigen Parameter. Das stellt ihn in die Tradition großer italienischer Komponisten von Monteverdi bis Puccini und lässt seine Musik viel unmittelbarer zugänglich erscheinen als etwa die seines Landsmanns Nono.
Es ist sehr zu begrüßen, dass beim Label Neos eine Gesamtedition sämtlicher Orchesterwerke Madernas mit dem hr-Sinfonieorchester erscheint. Fünf CDs soll diese Edition unter der Leitung von Arturo Tamayo umfassen. Die thematische Klammer der Folge 3 bildet Madernas Liebe für den Klang der Holzblasinstrumente. Besonders der Oboe (für die er allein drei Konzerte komponierte) und der Flöte galt seine Aufmerksamkeit, und beide Instrumente fungieren, neben einer Frauenstimme, als Solisten im 1971 komponiertem Werk Ausstrahlung. Es handelt sich um eine Art Reise durch die literarische und geistige Geschichte Persiens, so Christoph Schlüren in seinem instruktiven Einführungstext. Texte aus Persien und Indien bilden das Textmaterial, teils gesungen, teils vom Tonband eingespielt. Wie meist in Madernas reifen Orchesterschöpfungen gehen Aleatorik und streng gebaute Strukturen eine fruchtbare Verbindung ein. Die meditative Grundhaltung des gut halbstündigen Stücks sorgt für Passagen geradezu hypnotischer Schönheit.
Grande Aulodia von 1970 ist ein Doppelkonzert für Flöte und Oboe, dessen Titel sich auf das altgriechische Aulos bezieht, ein schalmeiartiges Blasinstrument. Die letzten zehn Minuten dieses Werks gehören zum Schönsten, was Maderna hinterlassen hat ein traumverlorenes, melancholisches Gespräch der zwei Protagonisten, unterlegt von einem hypnotischen, in dunklen Farben irisirenden Streicherteppich, bis auch dieser erlischt und die beiden Soloinstrumente ganz alleine sind.
In Biogramma (1972), dem chronologisch letzten Werk des Programms, gibt es keine expliziten Solisten, doch ist dem Englischhorn eine prominente Rolle zugedacht. Dass auch hier Aleatorik und Konstruktion, Freiheit und Strenge einander ergänzen, spielt für den Hörer weniger eine Rolle als die bewundernswerte Orchestrierungskunst Madernas. Er war eben ein ingeniöser Praktiker, der als Dirigent ein Repertoire von der Alten Musik bis zur Avantgarde beherrschte und daher den Umgang mit dem Orchester von Grund auf beherrschte.
Arturo Tamayo und das hr-Sinfonieorchester beweisen untrügliches Gespür für diese so farbige und sensible Musik, und die beiden Solisten Taddeus Watson (Flöte) und Michael Sieg (Oboe) meistern technisch tadellos, seelenvoll und bestens aufeinander abgestimmt die gewiss nicht einfach zu spielenden Werke. Dreißig Jahre nach Giuseppe Sinopolis maßstabsetzender Interpretation dreier Orchesterwerke Madernas entstanden, bedeutet die vorliegende Produktion eine der überzeugendsten Auseinandersetzungen mit dem uvre dieses viel zu früh verstorbenen Komponisten.
Thomas Schulz