Larcher, Thomas

Cold Farmer

für Streichquartett

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Schott, Mainz 2007
erschienen in: das Orchester 10/2008 , Seite 60

„Das Schreiben von Cold Farmer glich einem impulsiven Losreißen von musikalischen Konventionen, von tatsächlichen und eingebildeten Zwängen. […] Es war ein Schritt/ein Fall ins Ungewisse, Bedrohliche, ein bedingungsloser Sprung ins Impulsive, direkt Emotionale… es glich einem schmerzhaften, aber lebensrettenden Luftholen nach einem zu langen Aufenthalt unter Wasser.“ Kein Wunder, dass der Gattungserstling des renommierten Pianisten, Komponisten und langjährigen Leiters der Klangspuren Schwaz vor unmittelbarer Expressivität nur so strotzt. Larchers Befreiungsakt von den Maximen der seriellen Avantgarde und ihren strukturellen Konventionen vollzieht sich 1990 denn auch mit ungebändigter motorischer Energie und hörbarer Lust an tonaler Harmonik, könnte jedoch durchaus auch den 20er Jahren des vergangenen Jahrhunderts entstammen.
Das ca. 15-minütige Werk beinhaltet vier kontrastreiche Sätze, die aus der Spannung rastlos vorwärtstreibender, häufig ostinater Bewegungen und melancholischer Zurücknahme ihre Intensität beziehen und dabei zahlreiche Voraus- und Rückblicke integrieren. Relativ deutlich macht sich der Kopfsatz (mit Groove) Gepflogenheiten der Minimal Music zu Nutze und präsentiert sich über weite Strecken als ein patternhaftes Rekrutieren von Dreiklangs-Arpeggien im Wechsel von a-Moll und gis-Moll, in die schroffe Akzente in Dur, dissonante Untertöne und fragmentarische Melodik hineingearbeitet sind. Nach einer ruhigen Episode, die deutlich auf den zweiten Satz verweist, bringt die Fortführung der Sechzehntel-Mechanik jedoch die zunehmende Auflösung melodischer und harmonischer Konturen in pure Rhythmus-Energie, bevor die ruhige Coda erneut Elemente des kommenden Satzes vorwegnimmt.
Fahle Klangfarben, deutlich kantabler Habitus und expressive Störmomente bestimmen den zweiten Satz (ruhige Halbe), der wie ein spät­romantisches Adagio in C-Dur ansetzt; mit einem schicksalhaft pochendem Basspizzicato, weit ausholenden melodischen Aufschwüngen der Violine und einer verhangenen con-sordino-Episode in c-Moll/cis-Moll. Der zweite Abschnitt des Satzes bewegt sich mit seiner Chromatik in fließender Achtelbewegung eher in der Wiener-Schule-Sphäre und führt mit einem kurzzeitigen Rückgriff auf die Arpeggien des ersten Satzes im fff zu einem kontrastiven Schluss, wo auf engem Raum alle bisherigen Ausdrucks­charaktere des Quartetts nochmals anklingen.
Das standesgemäße Scherzo vertritt der dissonante dritte Satz, bei dem vor allem Bela Bartók Pate gestanden zu haben scheint. Im Rahmen einer rondoartigen Struktur wechseln wilde Tanzmotorik mit asymetrischen Rhythmen und schroffen Mehrfachgriffen und chromatische Klangbänder einander ab. Als weltentrücktes Abschiednehmen kommt der Schlusssatz (ganz langsam, sehr frei) daher, resignativer Nachhall alles Vorigen in gerade mal 17 Takten, aus dessen stiller Homofonie sich melancholische Melodiebewegungen der Violinen herauswinden, um in cis-Moll und pppp zu verlöschen.
Dirk Wieschollek