Greenhalgh, Chris

Coco Chanel & Igor Strawinsky

Roman

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Bertelsmann, München 2010
erschienen in: das Orchester 10/2010 , Seite 67

Dieses Erstlingswerk eines Engländers wurde in viele Sprachen übersetzt und mit einigem Erfolg sogar verfilmt. Die Geschichte ist simpel: Genialer, aber mittelloser russischer Künstler, Revolutionsflüchtling, trifft in Paris reiche Mäzenin, die ihn und seine tuberkulosekranke Frau samt vier Kindern in ihrem Haus am Rand von Paris aufnimmt und finanziell unterstützt. Es kommt, wie es kommen muss: Der eher unattraktive Petersburger und die schöne Pariserin beginnen eine heiße Affäre, während die Ehefrau im Dachstübchen leidet und schließlich die Flucht ergreift.
Es wäre dies nicht mehr als eine recht belanglose Sommerlektüre, wären da nicht große Namen im Spiel: die berühmte Modeschöpferin Coco Chanel und der später noch prominentere Komponist Igor Strawinsky. Und deshalb muss man näher hinsehen. Die Begegnung der beiden ist verbürgt. Mademoiselle Chanel soll sogar den Skandal der Pariser Uraufführung des Sacre du printemps miterlebt haben. Auch hat sie mit einer Spende die spätere Wiederaufführung des Sacre ermöglicht und sogar die Ballettkostüme entworfen.
Aus welchen Quellen hat der Autor geschöpft? Strawinsky erwähnt in seiner Autobiografie, dass er in Garches gewohnt und Mademoiselle Chanel mit ihrer Großzügigkeit eine zweite Aufführung des Sacre finanziert habe; ein Biograf spricht von einer „Affäre“. Chanel dagegen plaudert freimütig über ihr Abenteuer mit Strawinsky. Der Anhang immerhin bringt eine wohl verlässliche kurze Chronologie beider Leben.
Aber wer sich davon ein amüsantes Lesevergnügen versprochen haben sollte, wird enttäuscht: Träge und spannungslos schleppt sich die Geschichte dahin, nirgendwo wird man in sie hineingezogen, nie erweckt sie Anteilnahme oder gar Rührung. Selbst die erotischen Szenen lassen kalt. An Geschmacklosigkeiten mangelt es dagegen nicht: „Sie zwinkert hektisch, während ihre kleinen Brüste beben.“ Oder: „Igor spürt … das ferne Pochen einer leisen Schwellung in seiner Hose.“
Was bleibt, ist Klischee: Er komponiert in einem Zimmer, sie entwirft Mode in einem anderen, er überarbeitet den Sacre, sie kreiert ihr berühmtes Parfüm „Chanel Nr. 5“. Dazwischen besucht sie ihn zum heimlichen Liebesspiel, weder Ehefrau noch Nachwuchs noch das Personal sollen etwas merken. Erschwerend hinzu kommt, dass das Buch voller sprachlicher Schnitzer steckt, die aber möglicherweise der Übersetzung geschuldet sind.
Die musikalischen Angaben allerdings sind haarsträubend fehlerhaft. Schließlich sollten in einem Roman, der sich mit einem Komponisten befasst, Mindestkenntnisse vorausgesetzt werden. Ein Beispiel für diese musikalischen Ahnungslosigkeiten: „Dann beginnt er mit der linken Hand den Takt zu schlagen und beschwört mit der rechten die Musik herauf.“ Umgekehrt wird ein Schuh daraus, denn es ist nicht überliefert, dass Strawinsky Linkshänder war. Wenigstens im Film darf er mit der Rechten dirigieren.
Ursula Klein

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