Nico Dostal
Clivia. Operette in drei Akten
Chor der Oper Graz, Ltg. Bernhard Schneider, Grazer Philharmoniker, Ltg. Marius Burkert
„Die Figuren haben alle ein sehr großes Ego und sie versuchen mit ganzer Kraft, ihr Glück irgendwie durchzusetzen“, sagte Regisseur Frank Hilbrich in Graz über Nico Dostals lange vernachlässigte Operette Clivia. Die erste Vorstellung fand statt im Berliner Theater am Nollendorfplatz am 23. Dezember des Machtübernahmejahrs 1933. Danach schuf Dostal Operetten wie Die ungarische Hochzeit und Monika, welche Werke jüdischer Autoren und Komponisten auf den Spielplänen des „Dritten Reiches“ ersetzen sollten. Diese Zeitumstände behinderten über Jahrzehnte den Erfolgsweg von Clivia. Das ändert sich jetzt. Auf die Oper Graz in der Spielzeit 2021/22 folgte im April 2024 die Staatsoperette Dresden.
Nico Dostals spätere Ehefrau Lillie Claus spielte 1933 die Diva Clivia Gray, deren Filmteam heimlicher Protagonist beim Putsch im Fantasiestaat Boliguay werden soll. Der Putsch geht allerdings schief. Dafür wird Clivia die Geliebte des boliguanischen Präsidenten Juan Damigo. Mit diesem beschließt Clivia eine Zweckheirat, um ihrem Filmteam die Aufenthaltsgenehmigung zu verschaffen.
Dostals melodische Verve schlägt durch und hält an: Clivia erweist sich in ausgedehnten Liebesszenen und schmetternden Ensembles als starkes Stück. Die Handlung mit den Manipulationen durch die Traumfabrik Kino, den korrupten Hintergründen einer rigorosen Eroberungsintrige und dem Einsatz eines fraulichen Bataillons machen Dostals Operette aktuell.
Nico Dostal spart nicht an lateinamerikanischen Rhythmen und markanten Orchester-Tutti. Marius Burkert, die Grazer Philharmoniker und der Chor genießen, was ihnen Dostal an musikantischer Sportivität abverlangt. Wie bei Emmerich Kálmán und Paul Abraham dominiert oft die Blechgruppe. Eduard Künneke und Franz Lehár sind offenbar die einzigen um 1930, welche in Operetten auch über längere Strecken filigrane Instrumentalfarben favorisieren.
Die Oper Graz wirft für diese offenherzige, extrovertierte und rasante Neuproduktion eine passgenaue, ideale Besetzung ins Rennen: Sieglinde Feldhofer strahlt als Clivia mit lyrisch-metallischen Tönen und pikanten Dialogspitzen. Operetten-Experte Marius Burkert legt am Pult den angemessen lautstarken Untergrund für die extrovertierten Nummern. Er buchstabiert das Flirt-Gezwitscher und die innigen Passagen eher, als dass er den Schmelz ganz ernst nimmt. Matthias Koziorowski ist ein strahlender Liebhaber- und Präsidenten-Tenor, das mit der Mezzosopranistin Anna Brull und dem Bariton Ivan Oreščanin besetzte zweite Paar ebenfalls fantastisch. Markus Butter als Filmproduzent und der Schauspieler Gerald Pichowetz bereichern diese Aufnahme.
Roland Dippel