Klassen, Janina
Clara Schumann
Musik und Öffentlichkeit
Ein weiteres Buch über Clara Schumann? Seit Berthold Litzmann kurz nach deren Tod eine (noch von Marie Schumann beaufsichtigte) dreibändige Biografie publizierte, folgte Würdigung auf Würdigung, zuletzt beflügelt durch das neue Interesse an unseren Schwestern von gestern seit den 1970er Jahren. Aber die Reihe Europäische Komponistinnen des Böhlau-Verlags konnte auf die komponierende Virtuosin nicht verzichten, und so wurde Janina Klassen mit der Arbeit beauftragt eine Chance, die sie sorglos ergriffen habe, wie sie im letzten Kapitel schreibt. Sie zu realisieren, stellte eine größere Herausforderung dar, als ich ursprünglich dachte.
Die Fertigstellung des dickleibigen Werkes verzögerte sich denn auch, aber das Warten hat sich gelohnt: Es ist eine überaus lesenswerte neue Darstellung entstanden, die man allen empfehlen kann, die nicht nur an leichtgängigen Lebensberichten interessiert sind, sondern an einer kulturgeschichtlich angereicherten Beschreibung der Zeitumstände, in denen Clara Wieck groß wurde und die sie später in entscheidendem Maß mitgeprägt hat: das seit Paganini aufkommende Starwesen, die Entwicklung von Konzertorganisation und Programmgestaltung, die Formierung der romantischen Avantgarde, die Herausbildung eines Kanons bedeutender Klavierwerke, der bis heute mit geringen Änderungen gültig ist.
Was neue Details zur Biografie angeht, profitiert das Buch vor allem von der Auswertung der Jugendtagebücher, teilweise unveröffentlichter Briefe sowie einer eindrucksvollen Menge an Literatur und gewährt so auch Einblick in private Meinungen, Äußerungen (z.B. im Kapitel Konkurrenz) und Verhältnisse (z.B. Wohnungen und Haushaltsorganisation). Die Kompositionsanalysen sind gebündelt in die jeweiligen biografischen Kapitel eingefügt. Ein besonderes Augenmerk legt die Autorin auf die sorgfältigen Inszenierungen für die Öffentlichkeit, die Clara Schumann vom ersten Auftritt an bis zur weihevollen, pflichtgetreuen und strengen Priesterin der letzten Jahrzehnte vorgenommen hat, die besondere Mischung aus kontrollierter weiblicher Selbstkonstruktion, kollektiven Vorstellungen, kalkulierter Mythenbildung und Macht.
Wer die Clara-Schumann-Literatur kennt, wird bemerken, wovon sich Janina Klassen entschieden absetzt: von den zuvor geführten Diskussionen um frauenspezifische Benachteiligungen und Behinderungen. So kommt es manchmal zur Schieflage, z.B. wenn sie über das Doppelmedaillon von Ernst Rietschel schreibt, es sei eine Darstellung als gleichrangiges Künstlerpaar. Unerwähnt bleibt die Bemerkung Schumanns im Haushaltsbuch, es habe Streit wegen Rietschels Bild gegeben, weil die damals (1846) noch berühmtere Clara im Vordergrund platziert war der Komponist sorgte denn auch dafür, dass sie nach hinten verlegt wurde.
Ein Clara-Schumann-Buch also mit anderen Akzentsetzungen, neuen Blickwinkeln, brillant geschrieben und sehr zu empfehlen.
Freia Hoffmann