Reininghaus (Hg.), Frieder
Chronik der Musik im 20. Jahrhundert
Nicht als bloßes Register fungiert der eben erschienene Band 13, mit dem das umfangreiche Projekt des Handbuchs der Musik im 20. Jahrhundert seinen Abschluss findet: Vorangestellt ist der etwa hundert Seiten umfassenden Auflistung der im Gesamtwerk erwähnten Personen und Sachbegriffe eine Chronik der Musik im 20. Jahrhundert. Für jedes Jahr zwischen 1900 und 2006 finden sich dort in synoptischer Nebeneinanderstellung wichtige Daten aus Politik und Wirtschaft, Kultur und Wissenschaft, Musik und Musikleben sowie Musik- und Tanztheater versammelt. Dem Leser werden einzelne Mosaiksteine angeboten, so kann er sich in der Zusammenschau selbst ein Bild der Entwicklungen in diesen Gebieten machen. Parallelitäten sollen so kenntlich werden, aber auch Verwerfungen und Ungleichzeitigkeiten. Der Mainstream kommt in der Auswahl der Stichpunkte ebenso zum Zuge wie die Außenseiterposition, und neben dem Geschichtsträchtigen hat nach dem ausdrücklichen Willen der Herausgeber auch das Skurrile seinen Platz.
Der nackten Datenmenge der Chronik gegenübergestellt ist jeweils ein Kalenderblatt, das in essayistischer Weise einem einzelnen Ereignis des betreffenden Jahres (oder Trends im umliegenden Zeitraum) nachspürt. In diesen Kalenderblättern spiegelt sich die inhaltliche Gesamtanlage des Handbuchs wider, das den Musikbegriff nicht auf den des Werks verengt, sondern seine ästhetischen und technischen Weiterungen im 20. Jahrhundert in die Darstellung einbezieht, mit dreien seiner Bände Rock-, Pop- und Jazz-Musik würdigt und überdies auch organisatorische und soziale Aspekte des Musiklebens berücksichtigt.
Wohl werden die Heroen der Musikgeschichte von Mahler und Strauss bis zu Schönberg und Strawinsky in den Kalenderblättern mit einzelnen ihrer Opera gewürdigt wie auch die heute aktive Komponistengeneration mit Vertretern wie Heiner Goebbels, Brian Ferneyhough und Kaija Saariaho. Doch auch die Bereiche der so genannten U-Musik kommen nicht zu kurz, wenn Lehárs Lustige Witwe, Friedrich Holländers Filmmusik zum Blauen Engel, Elvis Presleys Hound Dog oder das Sergeant Peppers-Album der Beatles zum Jahresereignis gekürt werden.
Man merkt die Absicht, die trockene Materie der Register und Chroniken solcherart aufzubrechen, und lässt sich gerne zum Blättern und zur Lektüre verführen, immer wieder gespannt, wohin die Wundertüte der Kalenderblätter auf der nächsten Doppelseite führen mag. Da fallen Schlaglichter auf Busonis Ästhetik der Tonkunst, (mehrfach) auf die Bayreuther Festspiele, auf Fluxusbewegung und Fachbegriffe wie Riff, und schließlich sogar auf die Entwicklung des Sampling und die Internet-Börse Napster.
Gerhard Dietel