Reininghaus (Hg.), Frieder

Chronik der Musik im 20. Jahrhundert

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Laaber, Laaber 2007
erschienen in: das Orchester 10/2007 , Seite 75

Nicht als bloßes Register fungiert der eben erschienene Band 13, mit dem das umfangreiche Projekt des „Handbuchs der Musik im 20. Jahrhundert“ seinen Abschluss findet: Vorangestellt ist der etwa hundert Seiten umfassenden Auflistung der im Gesamtwerk erwähnten Personen und Sachbegriffe eine Chronik der Musik im 20. Jahrhundert. Für jedes Jahr zwischen 1900 und 2006 finden sich dort in synoptischer Nebeneinanderstellung wichtige Daten aus „Politik und Wirtschaft“, „Kultur und Wissenschaft“, „Musik und Musikleben“ sowie „Musik- und Tanztheater“ versammelt. Dem Leser werden einzelne Mosaiksteine angeboten, so kann er sich in der Zusammenschau selbst ein Bild der Entwicklungen in diesen Gebieten machen. Parallelitäten sollen so kenntlich werden, aber auch Verwerfungen und Ungleichzeitigkeiten. Der Mainstream kommt in der Auswahl der Stichpunkte ebenso zum Zuge wie die Außenseiterposition, und neben dem Geschichtsträchtigen hat nach dem ausdrücklichen Willen der Herausgeber auch das Skurrile seinen Platz.
Der nackten Datenmenge der „Chronik“ gegenübergestellt ist jeweils ein „Kalenderblatt“, das in essayistischer Weise einem einzelnen Ereignis des betreffenden Jahres (oder Trends im umliegenden Zeitraum) nachspürt. In diesen Kalenderblättern spiegelt sich die inhaltliche Gesamtanlage des „Handbuchs“ wider, das den Musikbegriff nicht auf den des „Werks“ verengt, sondern seine ästhetischen und technischen Weiterungen im 20. Jahrhundert in die Darstellung einbezieht, mit dreien seiner Bände Rock-, Pop- und Jazz-Musik würdigt und überdies auch organisatorische und soziale Aspekte des Musiklebens berücksichtigt.
Wohl werden die Heroen der Musikgeschichte von Mahler und Strauss bis zu Schönberg und Strawinsky in den „Kalenderblättern“ mit einzelnen ihrer Opera gewürdigt wie auch die heute aktive Komponistengeneration mit Vertretern wie Heiner Goebbels, Brian Ferneyhough und Kaija Saariaho. Doch auch die Bereiche der so genannten U-Musik kommen nicht zu kurz, wenn Lehárs Lustige Witwe, Friedrich Holländers Filmmusik zum Blauen Engel, Elvis Presleys Hound Dog oder das Sergeant Pepper’s-Album der Beatles zum Jahresereignis gekürt werden.
Man merkt die Absicht, die trockene Materie der Register und Chroniken solcherart aufzubrechen, und lässt sich gerne zum Blättern und zur Lektüre verführen, immer wieder gespannt, wohin die Wundertüte der Kalenderblätter auf der nächsten Doppelseite führen mag. Da fallen Schlaglichter auf Busonis Ästhetik der Tonkunst, (mehrfach) auf die Bayreuther Festspiele, auf Fluxusbewegung und Fachbegriffe wie „Riff“, und schließlich sogar auf die Entwicklung des „Sampling“ und die Internet-Börse „Napster“.
Gerhard Dietel