ChorEdition
Das 16. bis 20. Jahrhundert
Was macht man mit Archivbändern voller Chormusik eines untergegangenen Staates? Einspielungen mit höchst populären, teils aber auch selten zu hörenden Werken, interpretiert von Ensembles, die im besten Sinn in deutscher Chortradition stehen? Nun, das Label Berlin Classics hat sich entschlossen, dieses einmalige Kompendium von Produktionen der VEB Deutsche Schallplatten Berlin GmbH (ehemals Eterna) unter dem Titel ChorEdition neu zu bündeln und damit insbesondere heutigen Chorsängern einen Leitfaden für die unendliche Fülle an Werken des 16. bis 20. Jahrhunderts an die Hand zu geben. Da kann man auf acht CDs hören, wie der Thomanerchor Leipzig, der Dresdner Kreuzchor, der Rundfunkchor Berlin, der Leipziger Rundfunkchor oder andere noch heute führende Ensembles Schütz, Bach oder Händel, aber auch Schönberg, Distler oder Pepping sangen und singen. Und nicht nur dies: Die Palette der Chorliteratur reicht bis hin zu manch Unbekanntem, etwa aus dem 19. Jahrhundert: Wer kennt schon Beethovens zweistimmigen Kanon Esel aller Esel, hi ha und hat diesen je auf einer CD vorgefunden?
Es würde den Rahmen dieser Kurzbesprechung sprengen, auf Interpretationsdetails einzugehen. Die älteste Aufnahme stammt aus dem Jahr 1963, die jüngste wurde erst 2010 produziert. Damit ist der Bogen gespannt und jeder weiß, dass Abstriche bei älteren Aufnahmetechniken sowie polyvalentes Leistungsvermögen und unterschiedliche Interpretationshaltungen der Chöre bei einem solchen Unterfangen impliziert sind. Manch eine Aufnahme leidet unter einem etwas dumpfen Klang, die eine oder andere Interpretation kommt bisweilen betulich daher, vielfach gibt es auch Schwungvoll-Musikantisches, vor allem bei den neueren Produktionen.
Aber darum geht es gar nicht. Nachdem der Markt deutscher Vokalmusik des 17./18. Jahrhunderts in den vergangenen Jahrzehnten nämlich von niederländischen, britischen oder japanischen Ensembles dominiert wurde, ist es wohltuend zu hören, dass es bei allen Abstrichen doch so etwas wie den Vorteil einer ungebrochenen Tradition von heimatverbundener Verwurzelung und der sich daraus ergebenden faszinierenden Verlässlichkeit bei der Interpretation von Schlüsselwerken deutschsprachiger Chormusik gibt! Diese Erkenntnis macht die Zusammenstellung der acht CDs der ChorEdition unwiderstehlich. Und ein Geheimtipp am Schluss: Die acht Booklets führen schnörkellos, verständlich und ohne Umschweife in die jeweiligen Chorwerke ein in deutscher und englischer Sprache. Was die Autorin Marita Berg hier leistet, ist vorbildhaft und rundet das positive Gesamtbild der Edition wohltuend ab.
Thomas Krämer


