Klebe, Giselher
Chara
für zwei Violoncelli op. 134
Heute ist es stiller geworden um die Zwitschermaschine, um Jacobowsky und der Oberst und andere Erfolgswerke des mittlerweile über achtzigjährigen Giselher Klebe. In den 50er und 60er Jahren des vorigen Jahrhunderts wurde sein Name häufig gemeinsam mit dem Hans Werner Henzes genannt, standen doch beide Komponisten für Wege der neuen Musik, die sich post-webernschem Mainstream ebenso widersetzten wie den neuen Wunderwelten elektronischer Musik und stattdessen zum Argwohn vieler Avantgarde-Apostel Erfolge feierten auf der guten alten, vermeintlich verstaubten Opernbühne. Nicht anders als Henze profitierte auch der junge Klebe vom Erweckungserlebnis der Zwölftontechnik, doch deren Dogmatik eignete sich schlecht als ästhetische Ausgangsposition für einen Komponisten, der eigenem Bekunden zu Folge nie ein abstrakter Musiker [war] in dem Sinne, dass mich das Spiel der Töne a priori interessiert. Mich interessiert immer nur das Spiel der Töne im Sinne der Gewinnung einer Aussage, die ich als Ansprache an das gegenüber, das meine Musik hat, verstehe.
Von seinem Lehrer Fortner übernahm Klebe im Jahr 1957 eine Lehrstelle für Komposition an der Musikakademie Detmold. Bis zu seiner Emeritierung 1990 blieb er diesem Institut treu. Zu seinen bekanntesten Schülern gehören Martin Christoph Redel, Theo Brandmüller und Matthias Pintscher, der 17-jährig in Klebes Klasse eintrat und mittlerweile zu den prominentesten jungen Komponisten zählt.
Klebes Bekenntnis zur Klarheit, zu der mir größtmöglichen Einfachheit und zu einem Form und Gestalt bestimmenden umfassenden Ausdruck spricht beredt aus der 2002 komponierten und nun bei Bärenreiter als Faksimile einer Komponisten-Reinschrift erschienenen Ballade Chara für zwei Violoncelli. Das auf einer zu Beginn im kraftvollen Unisono vorgetragenen Zwölftonreihe basierende Werk gliedert sich in vier Abschnitte: Der teilweise rezitativischen Einleitung in freier Anverwandlung der seriellen Technik koppelt Klebe das Tonmaterial der Reihe an bestimmte rhythmische, immer wiederkehrende Grundmuster folgt ein linear-kontrapunktisches Leggiermente, dem sich als dramatische Klimax ein Marcatissimo-Abschnitt anschließt, in dem Tremoli, Repetitionsmuster und gezackte Marschrhythmen die Szene beherrschen. Das Werk klingt aus mit einem pastoral anmutenden, lyrischen Cantabile im 6/8-Takt.
Es ist eine Freude, das farbige, auch im Sinne der Cellistik gut geschriebene und bis auf wenige Stellen nicht allzu schwierige Werk zu spielen, zu hören und anlässlich dessen nochmals aufmerksam zu werden auf einen bedeutenden Komponisten der Nachkriegszeit. Nur in einem Punkt lässt uns wie es leider oft geschieht diese Neuausgabe allein: Wer oder was ist Chara? Bezieht sich der Komponist, indem er seiner Duo-Ballade diesen Titel verleiht, auf den griechischen Begriff für Freude, oder ist Chara gar eine Hommage an jenen 27,3 Lichtjahre entfernten Stern, der auch als Beta-Stern der jagenden Hunde bekannt ist?
Gerhard Anders