Rachmaninoff, Sergei / Viktor Suslin
Chanson Vocalise
Works for Violoncello and Piano
Der Cellist starrt mit hypnotisierendem Blick ins Publikum, lautet die Anweisung an den Interpreten der Sonate Chanson contre raison für Violoncello solo von Viktor Suslin. Natürlich können diese zehn Sekunden spannungsgeladener Stille ihre Wirkung auf den Zuhörer nur im Konzertsaal voll entfalten. Hyun-Jung Berger präsentiert sie trotzdem auf ihrer CD Chanson Vocalise wohl hauptsächlich deshalb, weil sie ihr so sehr
am Herzen liegt, ebenso wie die anderen Stücke auf der Aufnahme: Ton H (auch Suslin) und die Sonate in g-Moll op. 19 sowie die Vocalise in es-Moll op. 34 Nr. 14 von Sergej Rachmaninow. Keine Frage: Würde man die aus Südkorea stammende Künstlerin live bei diesem Stück erleben, man wäre sofort gefesselt von der Komposition selbst, von Bergers technischem Können, wahrscheinlich aber vor allem von der Leidenschaft, mit der sie es vorträgt. Das Werk beginnt auf der auf H gestimmten C-Saite und endet in Normalstimmung; inhaltlich führt es den Hörer auf einen Weg von außen nach innen: Das Gegenstück zu den kräftigen Bartók-Pizzicati zu Beginn sind die 40 Sekunden dauernden Flageoletts bzw. die acht Sekunden dauernde Stille ohne Bewegung am Ende. Schade, wie gesagt, dass diese Wirkung auf der CD verloren geht.
Ton H für Violoncello und Klavier (Bergers musikalischer Partner ist der gebürtige Argentinier José Gallardo) beschreibt einen ähnlichen Weg: Das zu Anfang ertönende C, das Zentrum unseres Tonsystems, löst sich auf in Naturflageoletts und Mikrointervalle, wobei hier die C-Saite im Verlauf des Stücks auf H heruntergestimmt wird. Auch dieses Werk ist von ungeheurer suggestiver Kraft, und Berger und Gallardo zeigen sich als die perfekten Übermittler seiner Wirkung.
In den tiefen Emotionen der Cellosonate in g-Moll von Sergej Rachmaninow gehen die Interpreten ebenso hörbar auf: Der erste Satz mit seinen weit ausgreifenden Melodien in den langsamen Teilen und der hochdramatischen Durchführung wird abgelöst von einem sehr dunkel wirkenden, sich viel in tiefen Lagen bewegenden Allegro scherzando. Auf das ebenfalls eher melancholische Andante folgt ein stürmisches, positiv gestimmtes Allegro mosso. Alles in allem eine Komposition, die nicht nur Hyun-Jung Berger und ihrem Goffriller-Cello die Möglichkeit bietet, ihre Fähigkeit zu sanftem und zurückhaltendem, dann wieder intensivem, immer gefühlvollem Spiel unter Beweis zu stellen; auch die Meisterschaft des Pianisten kommt zur Geltung, etwa in den zahlreichen Zwischenspielen im ersten Satz.
Schließlich noch die Vocalise: Berger und Gallardo entschieden sich dafür, sie zum ersten Mal in ihrer Urform einzuspielen, das heißt in ihrer ursprünglichen Tonart es-Moll und ohne Rachmaninows spätere Umarbeitungen. Die Nähe zur Melodie des gregorianischen Dies irae verleiht auch ihr eine schwermütige Grundstimmung, der die Künstler mit ihrer eindringlichen Interpretation Rechnung tragen.
Eine gelungene Aufnahme also, zu der auch ein umfangreiches, informatives Booklet gehört.
Julia Hartel


