Thuille, Ludwig
Chamber Works
Mark Gothoni (Violine), Ulrich Eichenauer (Viola), Peter Hörr (Violoncello), Frank-Immo Zichner (Klavier)
Mit den Klavierquintetten, dem Klavierkonzert und der Sinfonie von Ludwig Thuille (1861–1907) hat sich cpo bereits in den vergangenen Jahren um den Joseph-Rheinberger-Schüler, Richard-Strauss-Freund und Münchner Kompositionsprofessor mehrfach verdient gemacht. Jetzt legt das Label auf zwei CDs vier Kammermusikwerke des im heutigen Konzertleben kaum präsenten Komponisten vor.
Um zu erfahren, welch gewiefter Kammermusikkomponist Thuille war, genügt es, in den Allegro-energico-Kopfsatz der Cellosonate op. 22 hineinzuhören: Peter Hörr und Frank-Immo Zichner entfalten ein kontrastreiches spätromantisches Panorama, das weder den rhythmisch pointierten Agitato-Aufschwüngen noch den sehnsuchtsvollen Cello-Kantilenen etwas schuldig bleibt. Das 1902 abgeschlossene Werk setzt in der Nachfolge der Cellosonaten von Johannes Brahms (1865, 1886), Richard Strauss (1883) und Erno Dohnányi (1899) einen wichtigen Meilenstein.
Thuilles viersätziges Trio für Violine, Viola (statt des üblichen Cellos) und Klavier von 1885 ist eines der ersten Werke dieser seltenen Gattung und zugleich mit knapp 40 Minuten das vielleicht längste (Max Regers deutlich kürzeres Opus 2 in der gleichen Besetzung entstand erst sechs Jahre später). Hier überzeugt vor allem der Andante-Satz, der Ulrich Eichenauer reichlich Gelegenheit gibt, die herbe Schönheit seines Bratschentons auszukosten.
Von den beiden Violinsonaten Thuilles offenbart das Rheinberger gewidmete und mit dessen Hilfe beim Leipziger Verlag Forberg untergebrachte Opus 1 des 19-Jährigen zwar großen jugendlichen Schwung, es lässt insgesamt aber originelle Thematik und großangelegten Phrasenaufbau vermissen. Am gelungensten erscheint noch das kurze Scherzo. Bei der vorliegenden Aufnahme irritieren im Finale allerdings lieblose Übergänge Mark Gothonis zwischen den Haupt- und Seitenthemen sowie eine etwas ruppige Gangart des Klaviers.
Die Henri Marteau gewidmete e‑Moll-Violinsonate op. 30 von 1904 besticht demgegenüber im Kopfsatz durch weiträumige Thematik, eine hochdifferenzierte Harmonik und spannungsreiche Verarbeitung des
Materials. Nach einem ausdrucksstarken C‑Dur-Adagio schließt das Werk mit einem energischen Finale, das prägnante rhythmische Charaktere in den Vordergrund stellt. Insgesamt ist dieses letzte größere Kammermusik-Opus des früh verstorbenen Komponisten zweifellos ein Meisterwerk, das zwischen den zahlreichen Reger-Sonaten aus dem ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts gut bestehen kann. Das Duo Gothoni/Zichner leistet hier ungeachtet einer gewissen Klavierlastigkeit des Klangbildes interpretatorisch eine lobenswerte Pionierarbeit.
Rainer Klaas