Kósa, György

Chamber Music with Viola, Vol. 1

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Hungaroton Classic HCD 32717
erschienen in: das Orchester 09/2013 , Seite 84

Den ungarischen Komponisten und Pianisten György Kósa kennen außerhalb seiner Heimat wohl nur die wenigsten. Tatsächlich hat er die meiste Zeit seines Lebens (1897-1984) in Ungarn verbracht und dabei die nationale Musikgeschichte miterlebt und mitgeschrieben: zunächst als Privatschüler von Béla Bartók, dann in der Kompositionsklasse von Zoltán Kodály, als Meisterschüler von Ernö von Dohnányi und schließlich als Klavierlehrer an der Budapester Musikakademie. Kósa war der erste ungarische Pianist, der seit den 1920er Jahren Konzertreihen mit sämtlichen Klavierwerken von Bach spielte. Der Fortgang seiner Karriere wurde zunächst von den Nazis und später von der kommunistischen Kulturpolitik verhindert. Erst im hohen Alter wurde er teilweise rehabilitiert und als Vorläufer der neuen ungarischen Avantgarde gewürdigt.
Die vorliegende CD versucht nun, den Komponisten Kósa zumindest ein bisschen ins allgemeine Bewusstsein zu rufen. Die Aufnahmen sind eine Art Orchester-Gemeinschaftsproduktion: Dirk Hegemann, Michael Hsu und Renie Yamahata sind jeweils führende Mitglieder des Radio-Sinfonieorchesters Stuttgart des SWR (Simone Riniker Maier kommt als Gast dazu). Sie sind nicht nur fabelhaft aufeinander eingespielt, sondern realisieren die musikalisch durchweg äußerst anspruchsvollen Stücke auch auf einem technisch wie klanglich bemerkenswerten Niveau. Insbesondere Dirk Hegemann, dessen sonore Casparo-da-Saló-Bratsche den roten Faden der ausgewählten Kammermusik-Werke bildet, gelingt ein rundum überzeugendes Plädoyer für diese hierzulande fast unbekannte Musik.
Kósa steht mit einem grundsätzlich am ungarischen Sprachduktus orientierten Stil zwar hörbar in der Tradition seiner Lehrer Bartók und Kodály, verzichtet allerdings weitgehend auf Volkslied-Elemente und huldigt stattdessen einem stärker subjektiven Ausdruck, der mitunter auch Persönliches zum Thema macht: Kann man das Duo für Violine und Bratsche von 1943 noch als eher sachliche Reverenz vor Johann Sebastian Bach hören, ist das Streichtrio von 1946 ein gänzlich unverstellter Abschiedsgesang für Frau und Tochter, die beide im Krieg ermordet wurden. Die ungewöhnliche Besetzung mit zwei Geigen und Viola (ohne Cello) symbolisiert dabei nicht nur ganz konkret die beiden Frauen und den Komponisten, sondern ermöglicht auch sowohl ätherische Wirkungen als auch den beklemmenden Eindruck, der Musik sei irgendwie der Boden unter den Füßen weggezogen worden.
Ebenfalls in Erinnerung an einen verstorbenen Freund ist das über dreißig Jahre später entstandene In memoriam für Viola solo komponiert. Besonders reizvolle Entdeckungen sind schließlich die beiden Miniatur-Sammlungen für Bratsche und Harfe von 1964 und 1969 – insgesamt 22 musikalische Aphorismen von teilweise aparter Klanglichkeit, die überraschende Hör- und Assoziationsfelder aufspannen. Dass die zweite Serie bis heute offenbar nicht veröffentlicht ist (und in dieser Aufnahme aus dem Manuskript gespielt wurde), sollte sich eigentlich ändern lassen.
Joachim Schwarz