Thieriot, Ferdinand

Chamber Music

Volume One: String Sextet in D major/Piano Quintet in D major op. 20/Theme and Variations op. 29 for two cellos and piano

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Toccata Classics TOCC 0080
erschienen in: das Orchester 11/2010 , Seite 74

Man findet Ferdinand Thieriot in keinem der gängigen Komponis­tenlexika. Und doch soll der 1838 in Hamburg Geborene einer der angesehensten Komponisten seiner Heimatstadt gewesen sein. In seiner Jugend vom Vater, einem Versicherungskaufmann, zur Musik hingeführt, hatte Ferdinand die Musik – vor allem das Cello- und Klavierüben – anfangs allerdings mehr verwünscht als geliebt. Doch inzwischen gelernter Kaufmann geworden, besann er sich eines Besseren, gab den Beruf auf und begann bei Eduard Marxsen, der auch den jungen Brahms unterrichtet hatte, mit großem Eifer das Musikstudium. Nach Zwischenstationen u.a. in München bei Josef Gabriel Rheinberger wirkte Thieriot zunächst als Theaterkapellmeister in Ansbach, ehe er schließlich auf Empfehlung von Johannes Brahms einem Ruf nach Graz folgte und Dirigent des Steiermärkischen Musikvereins wurde. 1885 legte er seine Ämter nieder und suchte sich fortan als freier Künstler und als Komponist eine neue Heimat in Leipzig. 1902 kehrte er in seine Heimatstadt Hamburg zurück, wo er 1919 starb.
Sein kompositorisches Werk ist nicht eben arm an Zahl und weist überraschend viele musikalische Gattungen aus. Darunter finden sich zwei Opern, weltliche und geistliche Kantaten, Werke für Orchester (allein 10 Sinfonien und 13 Solokonzerte!) sowie eine Vielzahl von Kompositionen in kammermusikalischer Besetzung mit und ohne Klavier. Die Hamburg Chamber Players, ein Ensemble mit flexibler Besetzung, haben sich zum Ziel gesetzt, Thieriot über Einspielungen seines kammermusikalischen Œuvres wiederentdecken zu helfen. In einer ersten CD machen sie mit dem Streichsextett D-Dur, dem Klavierquintett D-Dur und den Variationen für zwei Violoncelli und Klavier op. 29 bekannt. Angesichts der Qualität dieser Musik ist es schon erstaunlich, dass Thieriots Werke so rasch dem völligen Vergessen anheimfielen. Seine Musik zeigt eine gewisse Nähe zu Brahms, ohne aber ganz dessen inneren Zusammenhalt zu erreichen; da verliert sich Thieriot zu sehr in der Überfülle seiner weitschweifenden Einfälle. Doch die hier vorgestellten Werke beweisen sein hohes Talent für eine organisch ausgearbeitete Zielorientiertheit, für eine lebhafte Entwicklungsfähigkeit und für manch unerwartete harmonische Wendungen.
Dass die Qualität seiner Musik so sehr überzeugen kann, liegt natürlich auch an den hoch inspirierten Interpreten, die etwa dem Klavierquintett eine sich homogen mischende Balance angedeihen lassen und die unterschiedlichen Ausdruckscharaktere bei aller Kontrastfreude doch ohne jede Härte miteinander zu verblenden vermögen. Spielerisch wissen sie mit den motivischen Partikeln umzugehen, die Thieriot im Finale des Quintetts auf die verschiedenen Stimmlinien auffächert, alles wird in stetem Fluss gehalten. Vielleicht wäre einige Male noch etwas mehr leichtgewichtige Prägnanz angezeigt gewesen, aber solches kann die Überzeugungskraft der Einspielung nicht wirklich schmälern. Auch das nicht so sehr an einer kompositorischen Aufgabenstellung, sondern mehr an den musikalischen Reizen der Figuration ausgerichtete Ausdrucksspektrum der Variationen für zwei Violoncelli und Klavier wird hier mit dem rechten Maß an empfindsamer Wärme und lebhaft treibender Energie ausgelotet.
Thomas Bopp