Kirsten Liese
Celibidache
Der Maestro im Spiegel von Zeitzeugen
Es ist eine ungewöhnliche Art der Biografie, die die Journalistin und Autorin Kirsten Liese da veröffentlicht hat – doch eine, die den bereits sehr zahlreich vorhandenen Lebensbeschreibungen durchaus noch etwas hinzufügt: Quasi pünktlich zum 110. Geburtstag des großen rumänischen Dirigenten Sergiu Celibidache (1912–1996) versammelt sie in diesem Band Interviews und sonstige Äußerungen von Zeitzeug:innen des Dirigenten; von Orchestermusiker:innen, Sänger:innen, Solist:innen.
Außerdem soll dieser Band nicht nur eine Würdigung der Lebensleistung „Celis“ sein – wie er im Buch liebevoll genannt wird –, sondern auch das Gedenken an diesen charismatischen Musiker bewahren. Denn ja, schreibt die Autorin in der Einleitung zum Buch: Immer mehr der jungen Musiker:innen der jüngsten Zeit, die mit Playlists auf iTunes, Spotify und YouTube aufwachsen statt mit den Namen und Konterfeis musikalischer Persönlichkeiten auf Platten- und CD-Covern, kennen diesen Großmeister des 20. Jahrhunderts nicht einmal mehr namentlich.
Dass Celibidaches autoritäres, oft geradezu arrogantes Auftreten als Dirigent schon in seinen letzten Jahren gewissermaßen ein Auslaufmodell war, scheint kaum fraglich. Dennoch verteidigt Liese diesen Dirigententypus und betont, wie zielstrebig und unbeeinflusst von politischen Korrektheitsüberlegungen, karrieristischen und konformistischen Beweggründen er seinen Weg, wie kompromisslos er seine künstlerischen Vorstellungen verfolgte – und wie oft ihm die Ergebnisse Recht gaben. Entsprechend fiel auch die Auswahl der interviewten Zeitzeug:innen aus, die dem Dirigenten durchgängig positiv gegenüberstehen, und entsprechend lesen sich auch ihre eigenen biografischen Hinzufügungen, die im Gegensatz stehen zu vielen anderen biografischen Texten, die über diesen Mann schon geschrieben wurden.
Trotzdem werden in den meist recht kurzen Interviews auch provokative Themen angesprochen – angefangen von Celibidaches Verachtung für Frauen im Orchester bis hin zu seinen abschätzigen Bemerkungen über Dirigentenkollegen oder seinem Beleidigtsein, nachdem sich die Berliner Philharmoniker für Karajan statt für ihn entschieden hatten.
Und so ist das Buch insgesamt durchaus sehr lesenswert. Das liegt erstens an der warmen Begeisterung der Autorin für ihren Gegenstand, zweitens an ihrem profunden Wissen über ihn und drittens schlicht daran, dass man selten eine so umfassende Sammlung persönlicher Eindrücke über einen Musiker findet und ihn damit so emotional als Menschen kennenlernt.
Andrea Braun