Weiler, Klaus

Celibidache – Musiker und Philosoph

Eine Annäherung

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Wißner, Augsburg 2008
erschienen in: das Orchester 02/2009 , Seite 62

Die beiden Bände bilden den Auftakt zu zwei von der Sergiu Celibidache Stiftung herausgegebenen Reihen: „Celibidachiana I: Werke und Schriften“ sowie „ Celibidachiana II: Dokumente und Zeugnisse“ und stellen jeweils überarbeitete Neuauflagen früherer Publikationen dar.
Celibidaches einziger öffentlicher Vortrag zum Kern seiner musikalischen Weltanschauung, einer spezifischen Anverwandlung von Edmund Husserls Phänomenologie, wurde 1985 an der Münchner Universität gehalten. Da nie an eine Veröffentlichung gedacht war und die Textvorlage verloren ging, basiert der 2001 erstmals gedruckte Vortrag auf der Transkription von Tonbandaufnahmen und Mitschriften. Bei der vorliegenden Neuausgabe konnten zwar einige Übertragungslücken geschlossen werden, weiterhin leidet aber die Lektüre am dezidierten Vortragscharakter des Texts. Nur Angedeutetes einerseits und spontan Abschweifendes andererseits beeinträchtigen die Konzentration erheblich. Der Kernsatz seiner musikalischen Phänomenologie, „Es gibt keine Alternative zu Musik und deshalb keine Interpretation“ , wird nur verständlich, wenn man Celibidaches Ausgangspunkt kennt. Für ihn lässt sich Musik nicht erfassen, weder sprachlich noch intellektuell, insofern ist Musik nicht „Etwas“, sondern umgekehrt kann „Etwas“ unter bestimmten Voraussetzungen Musik werden. Diese „Etwas“ setzt er mit dem Klang gleich. Die Klangerscheinungen schaffen Beziehungen, die erfahrbar sind, die Basis der Musik bildet die Beziehung von Tönen oder Klängen zum Menschen, welche universal, das heißt unabhängig von Kultur und emotionaler Verfassung, gesetzt wird. Insofern kann Musik nicht gut oder schlecht gespielt werden, denn sie entsteht beim Hörer oder eben nicht – eine Deutung, Interpretation im herkömmlichen Sinne kann es daher nicht geben.
Da nach Celibidache das Entstehen von Musik von der Art der Klangerzeugung und der Komplexität der Struktur abhängt, ergibt sich das Tempo in Abhängigkeit von diesen Gegebenheiten. Dies erklärt die teilweise relativ langsamen Tempi des Maestro, die immer wieder heiß diskutiert werden und auch in der umgearbeiteten Neuauflage der zuerst 1993 erschienenen Biografie von Klaus Weiler ausführlich zur Sprache kommen. Der Autor lernte den Dirigenten bereits in den frühen Nachkriegsjahren in Berlin kennen und begleitete dessen Karriere bis zum Tod 1996 mit großer Anteilnahme. Im Zentrum der Darstellung des Musikers Celibidache stehen die drei großen Perioden seiner Tätigkeit: Berlin (1945-1954), wo er als Leiter der Philharmoniker (1945-1948) und anschließend, nach der Rückkehr Furtwänglers, als Gastdirigent wirkte, die „Wanderjahre“ (1955-1978), die Weiler als „Intermezzo“ bezeichnet, und schließlich München (1979-1996), wo er die Leitung der Philharmoniker übernahm und diese zu einem international renommierten Spitzenorchester formte. Obwohl nicht unkritisch gegenüber der beschriebenen Persönlichkeit, die im Umgang mit Musikern und Kritikern als schwierig galt, sieht der Autor sich häufig zu leidenschaftlichen Verteidigungen veranlasst, die nicht immer überzeugen. Celibidache wird zweifellos als Musiker wie auch als „Philosoph“ weiterhin polarisieren und umstritten bleiben.
Peter Jost