Pietro Mascagni

Cavalleria Rusticana

Carolina López Moreno, Giorgio Berrugi, Elisabetta Fiorillo, Domen Križaj, Eva Zaïcik (Gesang), Balthasar Neumann Choir, Balthasar Neumann Orchestra, Ltg. Thomas Hengelbrock

Rubrik: Rezension
Verlag/Label: Prospero
erschienen in: das Orchester 6/2024 , Seite 68

Schon viele Werke deutete der Dirigent Thomas Hengelbrock neu. Immer geht es ihm um eine frische Sicht auf altbekannte Meisterwerke, die er mit musikwissenschaftlicher Akribie wiederentdeckt. Das macht er nun auch mit der Oper Cavalleria Rusticana, dem Meisterwerk des italienischen Komponisten Pietro Mascagni. Die jetzt auf CD vorliegende Aufnahme beruht auf Livemitschnitten vom November 2022 aus dem Festspielhaus Baden-Baden. Hengelbrock schaut genau in die Partitur und verzichtet auf die bis heute üblichen Striche. Manche schöne Passage wird so ans Licht befördert.
Seine Akribie wird im Booklet auf den Dirigenten Arturo Toscanini und dessen unerbittliche Werktreue bezogen. Toscanini wird in einem Essay von Martin Korn und Wolfgang Willaschek aber auch politisch bemüht, als „Symbol des Widerstands“ und Gegner des Faschismus, mit dem Mascagni sympathisierte. Versteckt sich in Cavalleria Rusticana, dem 1890 in Rom uraufgeführten Wegweiser des Verismo, vielleicht schon die „Idee eines archaisch-bodenständigen Landvolkes, das ‚unverbraucht‘ agiert, um ein Bild der ‚gesunden‘ Volksgemeinschaft zu propagieren, auf deren Boden ein starkes Italien gedeihen konnte“, fragen die Autoren im Einführungstext. Mascagni wurde später Mitglied der faschistischen Partei Mussolinis. Dass sein tragisch endender Einakter bereits ein rechtes Weltbild heraufbeschwört, ist natürlich eine kühne These.
Als Ausgangspunkt von Hengelbrocks Interpretation, die das Werk vom Pathos befreit, ist sie aber durchaus passend. Zu erleben sind etwas leichtere Stimmen, was besonders die Partie der Santuzza betrifft: Die sizilianische Bäuerin wird nicht von einem (hoch-)dramatischen Sopran gesungen wie in vielen Aufnahmen der 50er und 60er Jahre, sondern von der Sopranistin Carolina López Moreno. Sie machte sich in lyrischen Rollen wie Liú (aus Puccinis Turandot) einen Namen. Gerade ihre gemäß der Originalpartitur höher gesungene Partie sorgt für eine neue Farbe. An ihrer Seite steht die auch im Barockfach erfahrene französische Mezzosopranistin Eva Zaïcik als Lola. Da sich die Frauen im stimmlichen Temperament aufeinander zubewegen, wirkt ihr Streit um den gemeinsamen Geliebten Turiddu umso glaubhafter. Ihn gestaltet der Italiener Georgio Berrugi mit einem bemerkenswert lyrischen Tenor. Lolas gehörnter Ehemann Alfio ist hingegen mit dem markanten slowenischen Bariton Domen Križaj besetzt. Das Balthasar Neumann Orchestra spielt in den Streichern selbstverständlich mit sparsam dosiertem Vibrato. Bemerkenswert durchsichtig singt auch der Balthasar Neumann Choir, der gleichfalls markante Höhepunkte herausarbeitet. Und Hengelbrock erzeugt am Pult immer wieder eine schöne Italianità – die selbstverständlich ein Stil und kein übertriebener Ausdruck ist.
Matthias Corvin